Interview mit Hertha-Trainer Markus Babbel: "Ich hab mich schon ein bisschen in Hertha verliebt"
Die Stadt Berlin und den Verein Hertha BSC hat Markus Babbel früher nie wirklich wahrgenommen. Seit er den Zweitligisten trainiert, hat sich seine Beziehung zu dem Club verändert. Die Stadt ist ihm weiterhin egal.
taz: Herr Babbel, Sie waren Spieler in München, Hamburg, England und Stuttgart. Sie bezeichnen sich selbst als Globetrotter. Seit dem Sommer arbeiten Sie in Berlin. Konnten Sie sich schon mit der Stadt identifizieren?
Markus Babbel: Nein, mit der Stadt sicher nicht, wegen der bin ich ja auch nicht hergekommen. Sondern wegen dem Verein, und mit dem kann ich mich identifizieren. Oft werde ich gefragt: "Fühlen Sie sich schon heimisch?" Und ich sage immer: Nein! Das muss ich auch nicht.
Ist das nicht wichtig?
Der Trainer: Markus Babbel (38) ist seit dem vergangenen Sommer Trainer des Fußball-Zweitligisten Hertha BSC Berlin. Zuvor hatte er den Bundesligisten VfB Stuttgart trainiert. Als Spieler hat er zahlreiche Titel gewonnen. Unter anderem wurde er mit Bayern München und dem VfB Stuttgart Deutscher Meister, mit der Nationalmannschaft gewann er 1996 die Europameisterschaft.
Der Club: Hertha BSC Berlin ist im vergangenen Jahr aus der Bundesliga abgestiegen. Ziel in dieser Saison ist der direkte Wiederaufstieg. Bisher läuft es gut. Acht Spieltage vor Schluss steht Hertha mit vier Punkten Vorsprung auf Platz 1 der Zweiten Liga.
Die Aussichten: Am Freitagabend spielt Hertha beim Tabellenfünfzehnten FC Ingolstadt. Bis zum Saisonende spielt Hertha noch gegen die drei härtesten Konkurrenten um die Aufstiegsplätze, Aue, Bochum und Augsburg.
Wichtig ist, dass mir die Arbeit Spaß macht, und das tut sie. Ich nutze die Annehmlichkeiten, welche die Stadt zweifelsohne mit sich bringt, nicht für mich. Die wenige Zeit, die ich habe, verbringe ich mit meiner Familie in München. Manchmal bin ich auch einfach froh, mal auf der Couch zu liegen und Fernsehen zu schauen. Ich bin nicht der Typ, der sich in den Bus hockt und sich alle Sehenswürdigkeiten der Stadt ansieht.
Klaus Wowereit hat es geschafft, die Stadt Berlin in einem Satz zu beschreiben: "Arm, aber sexy." Können Sie Hertha auch in einem Satz charakterisieren - womöglich mit denselben Worten?
Wenn ich das über Hertha sagen würde, würden wahrscheinlich 17 Ligakonkurrenten verwundert sein, was ich da von mir gebe. Was ich sagen kann, ist, dass ich wahnsinnig überrascht bin, wie groß dieser Verein ist. Klar, ich war zuvor immer mal wieder in Berlin, aber die Stadt an sich habe ich nie wirklich kennen gelernt und den Verein auch nie so richtig wahrgenommen. Mittlerweile habe ich mich schon ein bisschen in den Club verliebt.
Oft wird das Scheitern eines Trainers auch darauf zurückgeführt, dass er sich nicht ausreichend mit der Region beschäftigt hat, in der er arbeitet. Muss man in Ihren Augen Fußball und Leben trotzdem trennen?
Muss man nicht. Wenn sich ein Trainer auch in die Stadt verliebt, in der er arbeitet - umso besser. Aber das ist nicht meine Intention. Mir geht es um die Arbeit im Verein. Ich bin ein Team-Player und als solcher sehr froh, dass hier so gute Leute beschäftigt sind. Auch für die Fans ist es wichtig, dass sich der Trainer vor allem mit dem Verein identifiziert. Das tue ich - und zwar nicht, weil ich es muss, sondern weil es einfach so ist. Ob man in Berlin tolle Partys feiern und gut essen gehen kann, interessiert mich weniger. Wichtig ist, was wir mit Hertha schaffen.
Als Sie Trainer wurden, war Hertha gerade abgestiegen. Hat Sie der Trümmerhaufen gereizt, hierher zu kommen?
Nein. Die Situation des Vereins war für mich weder besonders motivierend noch beängstigend. Mir hat die klare Zielstellung gefallen: der sofortige Wiederaufstieg. Ich bin sehr geradlinig und nicht der Typ für "Schaun mer mal, dann sehen ma schon". Wenn wir den Aufstieg nicht schaffen, bekommt der Verein ein Problem.
Und Sie keinen neuen Vertrag.
Wobei das für mich das geringste Problem ist. Es ist ja mein eigener Anspruch, den Aufstieg zu schaffen. Wenn es nicht klappt, geht man eben getrennte Wege. Es ist eine schwierige Aufgabe, aber genau das ist es, was mich antreibt.
Sie haben von Hertha nur einen Einjahresvertrag bekommen. Der bereits 33-jährige Spieler Levan Kobiashvili hingegen durfte bis 2013 unterschreiben. Eigentlich bizarr, oder?
Für Sie scheint das vielleicht bizarr und auch nicht ganz nachvollziehbar. Aber es sind halt Unterschiede, ob man einem Spieler oder einem Trainer einen Vertrag ausfertigt. Beim Spieler, wie zum Beispiel Kobiashvili, zählen ganz andere Parameter als bei Trainern. Das kann man nicht vermengen. Kobi ist eine wertvolle Stütze, die wir unbedingt halten wollten. Und für Trainer gilt sowieso der Spruch von Corny Littmann, den er einmal zu mir sagte: "Augen auf bei der Berufswahl!"
In welchem Zusammenhang hat der einstige Präsident von St. Pauli das denn gesagt?
Als ich gerade in Stuttgart entlassen wurde und ein bisschen deprimiert war. Da meinte er: "Soll ich jetzt Mitleid mit Ihnen haben?" Schließlich verdiene man als Trainer ja auch gutes Geld. Im Nachhinein muss ich sagen, dass er absolut recht hatte. Ich muss den Gegenwind verkraften können, weil ihn dieses Business eben mit sich bringt. Wenn ich das nicht aushalte, muss ich mir was anderes suchen und werde vielleicht Jugendtrainer, da ist die Verantwortung nicht ganz so groß.
Nach Stuttgart ist die Aufgabe bei Hertha ja auch die Möglichkeit für Sie, es allen Zweiflern mal so richtig zu zeigen.
Ich mache das nicht, um es den Zweiflern zu zeigen, sondern um mir selbst etwas zu beweisen.
Träumen Sie manchmal von einer Karriere, wie Sie Ihr Trainerkollege Otto Rehhagel mal mit dem 1. FC Kaiserslautern 1998 geschafft hat: erst der Wiederaufstieg, dann die Meisterschaft?
Mein Traum ist es, Meister zu werden - aber in diesem Jahr erst mal in der Zweiten Liga. Wenn wir das schaffen, haben wir einen guten Job gemacht, nicht mehr und nicht weniger. Das, was Rehhagel geschafft hat, wird es in den nächsten 100 Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben. Die Situation war damals auch eine andere. Kaiserslautern hatte gestandene Nationalspieler und eine routinierte Mannschaft. Bei uns hat es vor der Saison einen großen Umbruch gegeben, 14 Spieler sind gegangen, genauso viele sind gekommen. Und wir haben sehr viele junge Spieler mit eingebaut.
Hilft Ihnen bei Hertha die Siegermentalität, die Sie als langjähriger Spieler bei Bayern München haben mussten?
Ich habe 16 Jahre bei Bayern gespielt. Dort lernt man vor allem eines: Wir müssen gewinnen! Man ist enttäuscht, wenn man Zweiter wird. Es war ein langer Prozess, den ich in München durchlebt habe. Und es braucht mehr Zeit als ein Dreivierteljahr, das ich jetzt bei Hertha bin, um diese Mentalität auch hier zu etablieren.
Sie haben mal gesagt, Sie könnten von Ihren Spielern nichts verlangen, was Sie ihnen nicht selbst vorleben. Gibt es schon neue Tugenden bei Hertha BSC, für die Sie verantwortlich sind?
Vor meiner Zeit war es mit der Disziplin nicht so gut bestellt. Darauf achte ich jetzt sehr. Dazu gehören Pünktlichkeit und gute Trainingsleistungen. Ich kann nur 100 Prozent auf dem Platz geben, wenn ich genauso viel im Training gebe. Ich arbeite hier ähnlich wie in Stuttgart, wo wir ein halbes Jahr lang sehr erfolgreich waren. Danach gab es Gründe, warum es in die Brüche ging. Ich war oft nicht da, weil ich den Fußballlehrer-Schein gemacht habe. Ich habe sicherlich Fehler begangen, die ich hier noch nicht gemacht habe.
Können Sie sich noch an Ihre Antrittsrede bei Hertha BSC erinnern?
Ich hab den Spielern gesagt, dass wir ein großes Ziel haben: den sofortigen Wiederaufstieg.
Das wussten sie ja schon.
Man muss es den Jungs aber klar definieren und vom ersten Tag an zeigen, dass wir wahnsinnig hart arbeiten müssen, um dieses Ziel auch zu erreichen.
Haben Sie auch mit einem Psychologen gearbeitet?
Nein, gar nicht.
Sind Sie selbst der Psychologe?
Genau.
Was macht Sie als Psychologe aus?
Ich spreche viel mit den Spielern, das tun auch der Co-Trainer und das Team drum herum. Ich musste mich zu Beginn auch erst mal auf die Suche nach Spielern machen und konnte nicht auch noch nach einem Mentaltrainer Ausschau halten.
Wie sah es vor der Saison mit der Motivation bei Spielern wie Adrian Ramos und Raffael aus?
Wir haben mit ihnen ganz normale Gespräche geführt, in denen ein Dolmetscher mit dabei saß. Ich hoffe, der hat alles eins zu eins übersetzt. (lacht)
Hat man Ramos und Raffael nur mit viel Geld in eine Zweitligasaison schicken können?
Das sind Profis! Natürlich spielen die auch ums Geld. Aber glauben Sie mir, Raffael verzichtet auf viel Geld, wenn er hier spielt. Und dass Ramos wegwollte, ist bekannt. Genauso wie es bekannt ist, dass wir ihn nicht gehen lassen wollten - es sei denn, es käme ein unmoralisches Angebot. Das kam aber nicht. Letztendlich ist es doch so, dass es kaum Profis gibt, die nur aus Spaß an der Freude spielen - da können Sie hingehen, wo Sie wollen. Es gibt höchstens ein paar 35-Jährige, die aus Vereinsverbundenheit auch gerne für etwas weniger spielen.
Für Hertha läuft es sportlich zufriedenstellend. Ist es schwierig, den Spielern zu erklären, dass sie trotzdem noch lange nicht aufgestiegen sind?
Nein, das wissen sie selbst. Die Spieler machen sich sogar manchmal zu viele Gedanken um solche Dinge. Das spricht natürlich für ihren Charakter, aber durch das viele Nachdenken fehlt ihnen auch oft die Leichtigkeit. Sie wissen, dass sie gewinnen müssen und dass sie eine große Verantwortung gegenüber ihrem Verein tragen. Das kann zur Belastung für sie werden, denn Fehler macht man immer dann im Leben, wenn man gerade keine machen will. Es sind ja auch viele junge Spieler dabei, die von Clubs kommen, bei denen man einen solchen Druck nie hatte. Ich versuche den Spielern jetzt klarzumachen, dass wir bei all dem Druck aber nicht vergessen dürfen, was Fußball auszeichnet: nämlich Spaß.
Am Anfang der Saison konnte man Ihre Rolle noch nicht mit der von Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund vergleichen. Jetzt schon? Schließlich wäre mittlerweile für Sie beide alles andere als Platz eins am Ende eine Enttäuschung.
Nein, denn Klopp macht ja etwas Außergewöhnliches mit einer Mannschaft, die keiner auf der Rechnung hatte und jetzt vorneweg marschiert. Uns hatte jeder auf dem Zettel, wir sind der absolute Top-Favorit. Uns kann man eher mit Bayern München vergleichen - wir müssen Erster werden! Der Unterschied ist nur, dass Bayern München seit Jahrzehnten mit diesem Anspruch in die Saison startet.
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