Interview mit Hamburgs Milli Görüs-Spitze: "Wir werden als Muslime bestraft"
Immer noch wird die als islamistisch geltende Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet, bei der Islamkonferenz am Montag ist sie nicht dabei. Ein Gespräch mit der Hamburger Milli-Görüs-Spitze über den Islam, das Kopftuch und Erbakan.
taz: Herr Ucar, Herr Yoldas, Herr Yazici, Sie vertreten in Hamburg Milli Görüs. Das ist eine Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, weil sie als islamistisch gilt.
Mustafa Yoldas: Punkt. Mehr nicht. Keine Vorwürfe.
In Hamburg nicht, nein.
Yoldas: Woanders auch nicht. Es wird von einer vermeintlichen integrationsfeindlichen Grundeinstellung gesprochen.
Ahmet Yazici: Ne wieso, Schleswig-Holstein sagt, wir sind antizionistisch, und wir würden Ungleichheit zwischen Mann und Frau predigen.
Yoldas: Antizionistisch oder antisemitisch?
studierte islamische Theologie in Damaskus und ist seit 1997 Vorsitzender des norddeutschen Milli-Görüs-Ablegers BIG
wuchs in Rendsburg auf und studierte Wirtschaftsinformatik in Kiel. Der Geschäftsmann ist Ucars Stellvertreter im BIG
kam 1980 nach Bremen. Er ist Arzt und Vorsitzender des Rates der islamischen Gemeinschaften in Hamburg
--
In der Türkei wurde die national-religiöse Milli-Görüs-Bewegung 1970 von dem Politiker Necmettin Erbakan gegründet.
In Deutschland sind unter dem Dach von Milli Görüs über 300 Moscheen organisiert.
Von der Deutschen Islam-Konferenz ist Milli Görüs ausgeschlossen worden, weil gegen führende Mitglieder wegen Spendenbetrugs und "Bildung einer kriminellen Vereinigung" ermittelt wird.
Diese Vorwürfe weist die Organisation zurück. Einen Prozess gibt es bisher nicht.
Yazici: Antizionistisch! Und weißt du auch warum? Ich habe in einem Bericht vom NDR gesagt: Ich bin kein Antisemit und ich habe nichts gegen Juden. Aber gegen Zionismus, dagegen habe ich was. Wie kommt ein deutsches Verfassungsorgan dazu, Antizionismus als etwas Negatives darzustellen? Warum ist das negativ?
In Deutschland gab es die Geschichte mit dem Holocaust.
Yazici: Sorry, aber die teilen wir ja nicht. Da waren wir nun wirklich nicht dabei.
Yoldas: Aber auch darüber ließe sich streiten. Es gibt Leute, die einen Zusammenhang herstellen über den Mufti von Jerusalem.
Yazici: Der mit Hitler zusammen paktiert hat.
Yoldas: Wenn wir zufällig damals in Deutschland gelebt hätten, hätten wir am Holocaust mitgewirkt.
Yazici: So deren Verständnis.
Yoldas: Ja, aber anschließend wären wir selber in den Ofen gewandert.
Was ist mit Milli-Görüs-Gründer Erbakan, hat der kein Antisemitismus-Problem?
Yazici: Erbakan ist ein Politiker aus der Türkei, der nach türkischen innenpolitischen Verhältnissen spricht. Erbakan ist Chef einer politischen Bewegung, nicht einer Religionsgemeinschaft. Milli Görüs, die wir hier in Europa haben, ist seinerzeit ein Teil dieser türkischen politischen Bewegung gewesen. Aber in den letzten Jahren hat sie sich immer weiter entfernt von der politischen Linie in der Türkei.
Yoldas: Für große Teile der Milli-Görüs-Bewegung hier in Europa ist Erbakan so etwas wie der Patriarch, der Übervater, dem man ungern laut widerspricht, aber im Grunde wissen alle: Er muss weg, seine Zeit ist um.
Ramazan Ucar: Ich als Muslim, der in Hamburg lebt, möchte mit Erbakan nichts zu tun haben, das sage ich auch in meiner Gemeinde. Seit fünf Jahren kommt die Milli Gazete …
…die Zeitschrift von Erbakan …
Ucar: … nicht hierher, und das war unsere Entscheidung. Ich habe diese Meinung in der deutschen Milli-Görüs-Zentrale vertreten, ich habe gesagt: Leute, so geht das nicht. Jeder weiß, dass ich so denke, das habe ich auch in Ankara gesagt, wo wir Erbakan getroffen haben. Ich habe gesagt: Wir wollen eine eigenständige Gemeinde sein. Du darfst nicht nach Deutschland kommen und uns Befehle geben. Wenn der Verfassungsschutz Erbakan benutzt, um Milli Görüs zur Seite zu drängen, dann haben Menschen wie ich Probleme. Dann sagen die, egal was ihr tut, ihr werdet als Muslime bestraft, nicht als Milli-Görüs-Anhänger.
Yazici: Für uns sind nicht Grundsätze von Erbakan wichtig, sondern die Grundsätze des Koran. Das Leben des Propheten ist das Beispiel für uns, und das ist das Problem. Stellvertretend dafür werden wir in Deutschland verprügelt. Wir werden verprügelt, weil wir den Islam als Religion wahrnehmen und versuchen, uns mit den Wurzeln unserer Religionsgemeinschaft auseinander zu setzen.
Wer sollte etwas dagegen haben, wenn sich jemand mit seiner Religion identifiziert?
Yazici: Der Staat will ein bestimmtes religiöses Islamverständnis von uns haben, im Rahmen einer Leitkultur. Wir sagen, wir lassen uns gerne auf ein Islamverständnis ein, das mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Wir lassen uns aber nicht darauf ein, dass irgendwelche Leute sich hinstellen und uns auf eine deutsche Leitkultur verpflichten, von der sie uns nicht näher erzählen, was das ist. Das ist das, was die Deutsche Islamkonferenz versucht, mit ihrer Asymmetrie der Teilnehmer, bei der man 15 Behördenvertreter hat, zehn, elf Personen, die man willkürlich auswählt, möglichst noch aus dem Spektrum der Islamkritiker, und dann noch drei konservative Religionsgemeinschaften, konservativ in Anführungsstrichen. Religionsgemeinschaften sind immer konservativ.
Die Wunschvorstellung wären vermutlich aufgeklärte Muslime, Frauen, die keine Kopftücher tragen und sich schminken.
Yazici: Und Schweinefleisch essen und Bier trinken. Genau das ist es. Und was sagt die deutsche Familienministerin? Sie sagt, dass die alevitische Gemeinde das erfüllt, und deswegen arbeitet sie mit ihnen zusammen. Damit zeigen sie uns als Milli-Görüs-Muslimen: Wenn ihr so werdet wie die, dann belohnen wir euch auch.
Feministinnen werfen Ihnen vor, dass Frauen bei Ihnen Kopftuch tragen sollen.
Yoldas: Das ist ihre freie Entscheidung, darum geht es.
Okay, man soll also niemand zwingen, es abzulegen?
Yoldas: Oder anzulegen.
Ucar: Die Feministinnen sollten mit den muslimischen Kopftuch tragenden Feministinnen sprechen. Auf welche Seite wollen wir die tun?
Yoldas: Frauen, die Kopftuch tragen, betrachten das eher als eine Emanzipation aus den patriarchalischen Strukturen. Ich kenne viele junge Frauen, die kein Kopftuch getragen haben, aber mit zunehmendem islamischen Bewusstsein sagen: Jetzt erst recht. Ihr grenzt mich aus? Ihr wollt, dass ich ununterscheidbar werde? Und ich bemühe mich darum, ich spreche besser Deutsch als ihr, ich habe bessere Noten, und trotzdem komme ich nicht weiter. Dann setze ich mich ab.
Kopftuch bedeutet, sich vor den Blicken der Männer zu verbergen, dahinter stecken doch Besitzverhältnisse.
Yoldas: Die Emanzipationsgeschichte des Abendlandes ist nicht eins zu eins übertragbar auf die der muslimischen Frau. Man kann bei uns sehr wohl emanzipiert sein und ein Kopftuch tragen, das schließt sich nicht aus. Wobei für viele Frauen ist es sogar ein Ausdruck von Autonomie, zu behaupten, mein Körper gehört mir, ich zeige ihn, wem ich will.
In Niedersachsen gibt es jetzt eine türkische Sozialministerin, die sich auch gegen das Tragen eines Kopftuches in der Schule ausspricht.
Yoldas: Nein, sie ist nicht gegen das Kopftuchtragen in der Schule. Sie nimmt die Vorgaben des Grundgesetzes ernst. Ich weiß, dass ihre Familie eigentlich nicht zu der Gruppe der Hardcore-Kemalisten gehört, die sich prinzipiell gegen Religion im öffentlichen Leben positionieren. Sondern sie hat gesagt, aus dem Gleichheitsgebot heraus, dass die Schule ein neutraler Ort sein soll.
In Belgien gibt es jetzt ein Burka-Verbot.
Ucar: Das zeigt, wie ehrgeizig diese Menschen sind, die gegen die Burka sprechen. Es geht um 18 Menschen in ganz Belgien, und Belgien hat große Probleme, das Land wird entzwei gespalten. Und mit was beschäftigt es sich? Mit der Burka.
Es steht als Symbol dafür, dass Frauen den Blicken entzogen werden.
Ucar: In der Türkei werden sie weniger Frauen finden, die Burka tragen als in Belgien. Die Menschen, die Frauen verkaufen in Europa, das ist schlimm und das wird nicht annähernd so diskutiert wie die Menschen, die gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen oder zu heiraten. Ich als Vertreter der islamischen Gemeinde diskutiere mit staatlichen Stellen, wie wir dagegen kämpfen können. Gleichzeitig stellen sie aber auch uns in diese Ecke. Das geht nicht. Ich bin gegen Zwangsheirat. Ich bin gegen Zwangskopftuch.
Yazici: Stimmt. Mit dem Islam, der uns unterstellt wird, haben wir nichts zu tun. Das ist nicht unser Islam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?