Interview mit Friedensaktivistin Hoffmann: "Frage nach der Schuld stellen"
Neonazis sollen den Jahrestag der Bombardierung Dresdens nicht für sich nutzen können. Dafür wollen Kirchen und Politiker demonstrieren. Das stört die dortige CDU. Christine Hoffmann von Pax Christi ist empört.
taz: Frau Hoffmann, die Dresdner CDU greift in einem offenen Brief Kirchenvertreter und Bundespolitiker an, die am Jahrestag der alliierten Bombardierung den Neonazis nicht die Straße überlassen wollen. Wie fühlen Sie sich dabei?
Das Gedenken an die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 wird von Rechtsextremen für einen Großaufmarsch missbraucht. Seit drei Jahren wendet sich ein breites Bündnis mit einem "Geh Denken" dagegen. Im nächsten Jahr wird der Aufruf von Politikern wie SPD-Chef Franz Müntefering oder Richard von Weizsäcker, dem ehemaligen Bundespräsidenten, unterstützt. Die Dresdner CDU hintertreibt dieses Zeichen gegen rechts, weil damit "linke Chaoten" das stille Gedenken stören würden. Ihr Stadtchef Lars Rohwer versucht, mit Briefen vor allem Kirchenvertreter aus der Reihe der Unterstützer des Aufrufs herauszubrechen. Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) zog seine Unterschrift zurück - die NPD applaudierte. MIBA
CHRISTINE HOFFMANN, 47, arbeitet seit Mai 2008 als Generalsekretärin der katholischen Friedensbewegung Pax Christi.
Christine Hoffmann: Das kann man sich nicht bieten lassen. Allerdings ist der offene Brief des CDU-Stadtvorsitzenden Lars Rohwer an zahlreiche Kirchenvertreter auch nicht mehr so scharf wie eine vorher veröffentlichte Pressemitteilung. Der Brief unterstellt dem Aufruf zum "Geh Denken", den auch ich unterschrieben habe, er sei durch einen aggressiven Geist geprägt und würde eine wirkliche Versöhnung behindern. Das weise ich zurück. Ich halte es besonders mit Blick auf die nachwachsenden Generationen für wichtig, die Frage nach Schuld und Verantwortung neben das Gedenken an die Opfer zu stellen.
Herr Rohwer warnt in seinem Brief auch davor, die Bombardierung Dresdens als Folge der Nazi-Verbrechen zu betrachten.
Das ist hanebüchen! Ich verstehe es nicht.
Die CDU will angeblich ein "Gedenken in Stille und Würde". Kann man sich angesichts des immer massiveren Nazi-Aufmarsches zum Jahrestag der Bombardierung noch auf eine solche Formel zurückziehen?
Die Konsequenz wäre, dass die Dresdnerinnen und Dresdner in ihren Häusern, Kirchen und Versammlungsräumen sitzen und die Rechten die Straßen für sich haben und das Stadtbild prägen. Das können wir nicht zulassen.
Ist die Kampagne gegen das "Geh Denken" als Teil der Abgrenzungsstrategie der gesamten Union gegen links im Wahljahr 2009 zu sehen?
Solche Überlegungen stellt man an, wenn man einen Brief wie den von Herrn Rohwer liest. Mich ärgert daran, dass Rechtsextremismus und die Partei "Die Linke" in einen Topf geworfen werden, auch im Zusammenhang mit der Antisemitismus-Debatte im Bundestag. Ich lasse mich nicht von irgendjemandem instrumentalisieren. Ich schließe Bündnisse mit Menschen, die das gleiche Ziel haben. Eine Demonstration muss nicht sofort die Angst vor Straßenschlachten wecken! Auch Katholiken entscheiden nach ihrem Gewissen, ob sie sich daran beteiligen.
Sie werden sich also nicht beirren lassen?
Ich bleibe bei dem Aufruf und lasse mir auch keine Einmischung von außen vorwerfen. Denn auch die Pax-Christi-Gruppe in Dresden wirkt seit Jahren gerade am stillen Gedenken mit. Sie kann es aber ebenso wenig zulassen, dass die Rechtsextremen die ganze Stadt erobern. Da dürfen Kirchen nicht schweigen.
Würde ein neues Versammlungsgesetz das Problem entschärfen? In Sachsen und anderen Bundesländern sollen Aufmärsche an heiklen Gedenktagen und Orten bald untersagt werden.
Ich erkenne an, dass es dem Justizminister und Herrn Rohwer zuerst um die Stadt und ihren Frieden geht. Ich glaube aber nicht, dass eine Lösung durch versammlungsrechtliche Beschränkungen gelingt. Sie entheben uns nicht der Auseinandersetzung mit dem Anspruch der Rechten auf verstärkte Präsenz mitten in dieser Gesellschaft. Eine Demonstration wie das Dresdner "Geh Denken" ist ein deutliches Signal aus der Mitte der Gesellschaft dagegen. Darum geht es jeden Tag, da hilft ein Versammlungsverbot an bestimmten Tagen wenig.
INTERVIEW: MICHAEL BARTSCH
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