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Interview Wirtschaftshistoriker Blomert"Ein neues Vertrauen in den Staat"

Zeichnet sich mit Obama ein neuer Keynesianismus ab? Der Wirtschaftshistoriker Reinhard Blomert über die Deregulierung in den 80ern und wie ein grüner "New Deal" aus der Misere helfen könnte.

Die beiden müssen nicht mehr ausbaden, was sie angerichtet haben. Bild: ap
Interview von Nils Michaelis

REINHARD BLOMERT

REINHARD BLOMERT, geb. 1951, ist Soziologe. 2007 erschien von ihm eine Biografie über John Maynard Keynes im Rowohlt Verlag.

taz: Herr Blomert, der künftige US-Präsident Barack Obama spricht von einem Kurswechsel. Rechnen Sie in Anbetracht der Finanzkrise und der drohenden Rezession mit einem Rückgriff auf die keynesianischen Rezepte des New Deal? Wird der Staat eine stärker gestaltende Rolle bekommen oder wird es bei einer strengeren Aufsicht für die Finanzmärkte bleiben?

Reinhard Blomert: Der historische New Deal Roosevelts umfasste in den 30er-Jahren neben einer Regulierung der Börse und Banken auch Preis- und Lohnvorschriften, Arbeitsbeschaffungsprogramme oder eine Sozialversicherung für Arbeitslose. Der Erfolg des New Deal in den USA lag weniger in der Steigerung des Bruttosozialprodukts, als vielmehr im wachsenden Vertrauen in den Staat, das Roosevelt schuf. Man muss heute sehen, wo die größten Ängste sind, die ein Präsident Obama künftig bedienen muss.

Sind es Fragen der Sicherheit, Angst vor Terrorismus oder Wasser- und Energieknappheit, die ja mit Sicherheitsfragen eng zusammenhängen, wenn man es unter dem Aspekt der Ölversorgung sieht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Staaten sich auf neue Finanzmarktregeln einigen können, ist sehr hoch. Dieses Weltfinanzsystem funktioniert einfach nicht mehr, es hat große Instabilitäten gebracht. Das kann keiner wollen. Daher könnte die Angst davor auch etwas bewirken.

Warum haben die Gesetze zur Regulierung des Finanzsektors, die aus der Zeit des New Deal stammten, die gegenwärtige Krise nicht verhindern können?

Daran ist die "neokonservative Revolution" Ronald Reagans schuld. Er hat die Gesetzgebung geändert, die Marktmacht der Banken vergrößert und die Transparenz vermindert. Unter der Präsidentschaft George Bush senior wurde das Energiegesetz abgeschafft, wonach die Aufspaltung von Konzernen in undurchsichtige Holdings, also selbstständige Tochterunternehmen, wieder möglich wurde. Dies schuf die Grundlage für die Bilanzierungstricks, die zur Enron-Pleite geführt haben. Die Politik der Deregulierung wurde bis zu Clinton fortgesetzt. Sein Finanzminister Robert Rubin - der jetzt zum Team Obamas gehört - ermöglichte den Besitz von Geschäftsbanken durch Investmentbanken, womit er das Trennbankengesetz auflöste. Dies hat viel zur momentanen Krise beigetragen. Solche Gesetze kamen unter anderem zustande, weil Rubin, der früher bei Goldman-Sachs war, sich auf den Wall-Street-Komplex verließ. Es gab tatsächlich aber nie so wenige Bankenskandale wie in den 40er-, 50er- und 60er-Jahren.

Die Ankurbelung der Wirtschaft durch die staatlichen Investitionsprogramme des New Deal blieb historisch hinter den Erwartungen zurück. Nach dem Bankencrash von 1929 ging es zwar bergauf, der richtige Boom kam aber erst mit der Beteiligung der US-Amerikaner am Zweiten Weltkrieg und der folgenden staatlich gelenkten Umstellung der Wirtschaft auf Militärproduktion. Wie kann dies einen Boom ermöglichen, schließlich wird Kriegsgerät produziert, dessen Gebrauch Kosten verursacht und keinen Gewinn erwirtschaftet, anders als bei Investitionsgütern wie Maschinen?

Natürlich wird Material hergestellt, das keinen direkten Nutzen für die zivile Produktion hat. Die US-Amerikaner hatten aber darauf geachtet, dass ihre Produktion auch als Zivilproduktion nutzbar war. Die Produkte wurden auch verkauft: An Großbritannien und die Sowjetunion wurden nicht nur Rüstungsgüter, sondern auch Waren für den täglichen Bedarf verkauft und Märkte geschaffen. Der Zweite Weltkrieg markierte den Übergang vom britischen zum US-amerikanischen Imperium. Der Warenhandel ging zunächst durch die Kanäle der Armeelogistik. Das spielte eine große Rolle für die imperiale Nachkriegswirtschaft und Exportindustrie. Für die USA hat das bis in die 70er-Jahre hinein funktioniert. Bis dann Deutschland und Japan ihnen den Rang des Exportweltmeisters abgenommen haben.

Warum dieser Niedergang der USA in den 70er-Jahren?

Ökonomisch kann man es auf den Nenner bringen, dass wichtige Innovationen verschlafen wurden, weshalb die Exportgüter der USA nicht mehr wettbewerbsfähig waren im Vergleich zu den japanischen und deutschen. Tatsächlich hatte sich das herausgebildet, was der ehemalige republikanische US-Präsident Eisenhower als "militärisch-industriellen Komplex" bezeichnet hat. Gemeint ist damit die Verflechtung des Militärs und der zuliefernden Industrie. Dieser Komplex wurde immer wichtiger für die US-amerikanische Wirtschaft und konnte einen großen Teil der besten Ingenieurskräfte an sich binden. Im Militärbereich sind die USA bis heute führend. Dafür blieben andere Industrien, man denke nur an die Autoindustrie, zurück.

Reagans Politik steuerte in den 80er-Jahren von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Deregulierung sollte unter anderem die Bankenwirtschaft stärken. Ist die damals begonnene Deindustrialisierung der eigentliche Grund für die aktuelle Finanzkrise? Der aktuelle Bedarf an ausländischen Krediten, deren Platzen zur Krise geführt hat, entstand auch, weil die US-Industrie nicht mehr international konkurrenzfähig war?

Die Reagansche Wende hat einen Prozess der Deindustrialisierung befördert. Man denke nur an die Spielzeugindustrie, die nach China ausgelagert wurde. Ansonsten werden inzwischen auch immer höher qualifizierte US-amerikanische Dienstleistungsjobs nach Indien ausgelagert, etwa im Bereich der Buchhaltung. Das Paradigma der Handels- und Kapitaloffenheit funktioniert, wenn man im Zentrum sitzt. Aber wenn das Zentrum schwach wird, weil andere Länder aufsteigen, wird es schwierig. Irgendwann kann man die Leute, die unter den Globalisierungseffekten leiden nicht mehr auffangen, insbesondere in Krisensituationen. Die konservative US-Regierung war dazu ohnehin nicht bereit. Man merkt das an den großen sozialen Unterschieden in den USA, wo teilweise Dritte-Welt-Zustände herrschen. Der Vorteil Kontinentaleuropas war, dass hier ein funktionierendes Sozialversicherungssystem bestand.

Statt eine soziale Grundsicherung zu schaffen, wurden in den USA Kredite auch an Leute vergeben, die nicht kreditwürdig waren. Das stimulierte die Wirtschaft über einen kreditfinanzierten Konsumboom. Ging es deshalb der US-Wirtschaft noch so lange so gut?

Ja, man nennt dies "Bubble-Economy". Statt die Industrie international konkurrenzfähig zu machen, wird die Wirtschaft durch Konsumausgaben angeregt, die entweder durch überbewertete Aktien oder Immobilien finanziert werden oder durch die besagte, kaum regulierte Vergabe von Verbraucherkrediten. Durch einen Zins von 1 Prozent - ein Zinssatz, der historisch einmalig ist - wurden die US-Bürger von der Notenbank motiviert, nicht zu sparen. Man wollte keine Rezession entstehen lassen. Zeitweilig hat das funktioniert. Nur leider ging das Geld nicht in die Produktion, sondern in den Finanzdienstleistungsbereich, wo die nächste Blase entstand.

Könnte ein "Green New Deal", wie ihn auch der Direktor des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, fordert, eine konkurrenzfähige Reindustrialisierung der USA fördern?

Wir denken immer in Bruttosozialprodukt (BSP) - aber vielleicht geht es gar nicht so sehr um die Fortsetzung der Steigerung des BSP. Ein grüner New Deal wäre also nicht unbedingt gleichzusetzen mit einem fortgesetzten Wirtschaftswachstum - nunmehr durch sogenannte Umweltindustrien. Ein grüner "Deal" zwischen der Regierung und den Wählern müsste ein Umdenken enthalten, eine Entschleunigung. Ferner ein neues Vertrauen in den Staat, der in der Lage ist, mit dem Klimawandel fertig zu werden. Es bedürfte gezielter Investitionen in die Umweltbildung mit dem Ziel einer Änderung der Einstellung zur Umwelt. Dabei wären parallel große Investitionen in die Produktionswirtschaft sicher dienlich, etwa in den Schienenverkehr, der in den USA jahrzehntelang vernachlässigt wurde. Oder in Windkraft, Material- und Energieforschung. Da kündigt sich auch schon einiges an in den USA. Ob Obama so etwas vorschwebt, ist - so weit ich das beurteilen kann - noch nicht zu erkennen. Immerhin hat er aber schon andeuten lassen, dass er die Produktion von Benzinfresserautos begrenzen will. Mit der Finanzkrise wurde er ja erst während seiner Kandidatur konfrontiert, konnte sich darauf also noch nicht gut vorbereiten. Anders als Roosevelt, der 1932 gewählt wurde - im dritten Jahr der Krise - und der sich langfristig auf ein neues Programm konzentrieren konnte. Seine Berater waren damals bereits stark von Keynes beeinflusst.

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