Interview Pakistanexperte Gunter Mulack: "Geheimdienst treibt zwielichtiges Spiel"
Anstatt Pakistan zu bombardieren, müsse dem Land geholfen werden, sagt der frühere deutsche Botschafter in Islamabad und der neue Chef des Orient-Instituts, Gunter Mulack.
taz: Herr Mulack, Sie sind bis vor kurzem im nun gesprengten Hotel Marriott in Islamabad aus und ein gegangen. Was bedeutet dieser Anschlag für Pakistan?
Gunter Mulack, 64, ist seit diesem Monat Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Berlin. Bis zum August dieses Jahres war er deutscher Botschafter in Pakistan.
Gunter Mulack: Es wurde wieder einmal klargestellt, dass die Regierung nicht in der Lage ist, Sicherheit zu garantieren. Hätte die Staatsführung nicht im letzten Augenblick ihr Treffen aus dem Hotel in eine Privatresidenz verlegt, wäre sie wahrscheinlich mit in die Luft gejagt worden. Dass sie es verlegte, zeigt die eigene Verunsicherung. Dass die Attentäter von dem Termin offenbar wussten, zeigt, dass der Terror in Pakistan sich nicht gegen Ausländer richtet, sondern gegen die eigene Regierung.
Pakistan hat jetzt eine für ihre Korruption berühmte Regierung, massenweise Terroristen, etwa 85 Atombomben …
Man kann Pakistan jetzt zu Recht als Sorgenkind der Weltgemeinschaft bezeichnen. Wenn es eine terroristische Bedrohung für die Welt gibt, dann geht sie von pakistanischem Boden aus - vor allem von den westlichen Grenzprovinzen, namentlich Wasiristan. Die Regierung hat schlicht nicht die volle Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet. Das ist ein Erbe des Krieges zur Befreiung Afghanistans von den Sowjets.
Ist es dann nicht nur konsequent, dass die USA nun mutmaßliche Terroristenlager in diesen Regionen angreifen?
Pakistan ist trotz allem ein souveräner Staat, dessen Bombardement völkerrechtlich nicht gedeckt ist. Die Regierung ist grundsätzlich pro Amerika eingestellt, 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung sind jedoch anti Amerika. Die USA tun sich selbst auch keinen Gefallen, wenn sie durch ihre Angriffe die Haltung verstärken: "Die Regierung ist schwach, und die Amerikaner machen, was sie wollen."
Unterstellen Sie, dass die pakistanische Regierung die Angriffe insgeheim billigt?
Es gibt regelmäßige Kontakte und Gespräche zwischen den Geheimdiensten und den Armeen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Amerikaner sich da über alles hinwegsetzen …
Afghanische Geheimdienstler sagen, natürlich könne die pakistanische Regierung den Geheimdienst ISI auch gegen die Terroristen einsetzen. Sie habe bloß kein Interesse daran, weil ein stabiles Afghanistan sich mit Indien zusammentun könnte.
Wahrscheinlich betreibt der Geheimdienst ISI tatsächlich ein zweigesichtiges Spiel - teils gegen, teils mit den Taliban in Wasiristan. Mit der neuen Regierung unter Asif Ali Zardari hat sich jedoch zumindest der Wille geändert, gegen die Terroristen vorzugehen. Doch will Pakistan in Tat zwar kein feindliches, aber ein schwaches Afghanistan. Die Angst vor und das tiefe Misstrauen gegen Indien sitzen tief, die Angst vor einer Umklammerung durch die beiden Länder ist groß.
Der afghanische Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak schlägt gemeinsame afghanisch-pakistanische Grenztruppen vor. Wird Pakistan darauf eingehen?
Das glaube ich kaum. Pakistan hat eine gut ausgebildete, disziplinierte Armee, Afghanistan noch nicht. Da wird es sehr prompt zu Kommandostreitigkeiten kommen. Aber möglicherweise könnte man mit Hilfe und Vermittlung der Isaf-Truppen einige Kontrollpunkte auf afghanischer Seite auch mit pakistanischen Soldaten bestücken.
Die afghanische Menschenrechtlerin Mariam Notten sagte kürzlich zur taz, es sei absurd: "Aus 38 Ländern der Welt kommen fast 60.000 Soldaten nach Afghanistan und kämpfen angeblich gegen den Terror - während hundert Kilometer jenseits der Grenze die Taliban unbehelligt ihre Attentäter heranziehen!" Was sollte die Bundesregierung tun?
Die Frau trifft einen wahren Punkt. Pakistan ist auf dem besten Wege, ein failing state zu werden. Die Frage ist, wie die Kontrolle über die Grenzregionen je wiederzuerlangen wäre. Auch die Engländer hatten diese Gebiete während ihrer Kolonialherrschaft nicht im Griff. Die Paschtunen dort leben nach ihren eigenen Gesetzen. Doch die anderen Faktoren lauten Armut und Arbeitslosigkeit. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist Entwicklungshilfe. Die Bundesregierung braucht ein Pakistan-Konzept, wonach sie gemeinsam mit der EU Geld für Infrastruktur und Ausbildung zur Verfügung stellt. Diese Entwicklung muss in den ärmsten Provinzen unmittelbar und schnell ankommen. Das funktioniert aber nur, wenn die Hilfe direkt an die Provinzen geht - ohne den Umweg über die bürokratisch-inkompetente, nun wirklich nicht korruptionsfreie Zentralregierung.
INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN
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