Interview: Grundschulanmeldungen: "Ich bin ein Teil von Berlin"
Die zweifache Mutter Sevim B. kränkt es, dass viele Deutsche vor Schulen mit hohem Migrantenanteil flüchten. Außerdem verhindert das Integration, fürchtet sie.
taz: Frau B., was wünschen Sie sich für Ihre Kinder?
Anmeldezeit: Am Montag sind nicht nur die Herbstferien vorbei. Es beginnt auch die zweiwöchige Anmeldefrist für Grundschulkinder, die nächstes Jahr eingeschult werden. Anmeldepflichtig sind alle etwa 28.000 im Jahr 2004 geborenen Kinder.
Schulwahl: Über die zuständige Grundschule entscheidet eigentlich der Wohnort, doch besondere pädagogische Angebote etwa können ein Grund sein, an eine andere Schule zu wechseln.
"Ausländerschulen": Für viele Eltern wird ein Faktor zum entscheidenden Kriterium für die Qualität einer Grundschule: Wie hoch ist die Zahl der Kinder, die aus Einwandererfamilien stammen? Die Schulstatistik auf der Website der Senatsbildungsverwaltung weist das aus: Der Migrantenanteil liegt an den etwa 380 Berliner Grundschulen im Durchschnitt bei knapp 34 Prozent, schwankt aber je nach Lage der Schule zwischen 0 Prozent wie etwa an der Franz-Carl-Achard-Grundschule in Kaulsdorf und 98,3 Prozent wie an der Schöneberger Neumark-Grundschule, in deren Einzugsbereich Sevim B. wohnt. (awi)
Sevim B.: Gute Bildung, gute Zukunftschancen natürlich! Das wollen doch alle Eltern, oder? Ich möchte zudem, dass meine Kinder wegen der Herkunft ihrer Eltern keine Nachteile haben. Nach meiner Erfahrung werden Deutsche bei der Jobsuche immer noch bevorzugt. Ich will, dass meine Kinder perfekt Deutsch lernen, deshalb spreche ich immer Deutsch mit ihnen, mein Mann unsere kurdische Muttersprache Zazaki. Türkisch verstehen sie auch, sprechen es aber bisher nicht.
Welche Grundschule wünschen Sie sich für Ihre Kinder?
Ich möchte vor allem, dass meine Kinder auf eine gemischte Schule kommen, nicht auf eine, auf der nur Einwandererkinder sind. Es gibt Schulen hier in der Umgebung, auf der fast kein einziges Kind deutscher Eltern mehr ist. Die Migranten hier nennen diese Schulen "ausländische Schulen" oder "Ausländerschulen". Eigentlich will doch niemand, dass sein Kind so aufwächst, nach Herkunft getrennt! Außerdem wünsche ich mir, dass die Schule den Interessen der Kinder entgegenkommt, etwa mit Musik- oder Tanzprojekten. Und dass es verständnisvolle Lehrkräfte dort gibt.
Warum ist Ihnen eine gemischte Schule so wichtig?
Wie sollen wir uns denn sonst integrieren? Es wird immer von uns verlangt, dass wir uns integrieren. Aber wenn man uns allein lässt, uns in bestimmte Wohngebiete und an bestimmte Schulen abschiebt - wie soll das gehen? Man kann von uns nicht Integration verlangen, wenn man uns so in die Ecke drängt.
Wie kommt es zu diesen "Ausländerschulen"? Es leben ja auch deutsche Familien hier.
Ja, die melden ihre Kinder aber lieber anderswo an. Sie haben Angst davor, dass das Niveau der Schulen hier für ihre eigenen Kinder nicht gut genug ist. Oder dass die Kinder an der Schule nur Türkisch reden. Aber das ist doch Unsinn: Der Unterrichtsstoff ist deutsch, die Lehrer sind es, die Schulleiter. Das sind deutsche Schulen! Und viele hier sind gut, machen gute Projekte. Trotzdem bleiben die Leute weg.
Woher kommt diese Angst?
Ich glaube, sie kommt daher, dass wir schon seit Jahrzehnten ausgegrenzt werden: von den Politikern als Gastarbeiter, von den Medien als Dauerproblem. Seit ich Mutter bin, erlebe ich noch mehr als früher, dass die Deutschen wirklich Angst vor uns haben! Auf dem Spielplatz kommt es kaum zu Kontakten, die Mütter achten sogar darauf, dass ihre Kinder nicht das Spielzeug unserer nehmen: als seien die mit zwei Jahren schon Gewalttäter!
Das kränkt Sie?
Natürlich! Ich lebe hier seit über 30 Jahren, ich bin ein Teil von Berlin. Ich stamme aus einer Familie alevitischer Kurden, aber ich habe von vielen Kulturen, auch von vielen Religionen etwas in mir. Das gefällt mir, und ich finde, das sollte unsere gemeinsame Strategie sein.
Wie wuchsen Sie auf?
Ich bin zu einer gemischten Schule gegangen und hatte dort deutsche Freundinnen. Außerhalb der Schule hatte ich aber nichts mit ihnen zu tun. Meine Eltern wollten das nicht. Sie stammen vom Dorf, meine Mutter ist Analphabetin. Erst mit 12, 13 habe ich durch ein Mädchenzentrum mehr Kontakt zu Deutschen bekommen. Das war manchmal schwierig, die Kluft zu meinem Leben zuhause war groß. Als ich das nicht mehr aushalten konnte und weglaufen wollte, hat die deutsche Leiterin des Mädchenzentrums mir gesagt: Wenn du jetzt wegläufst, läufst du dein Leben lang weg. Du musst deine Probleme lösen. Das habe ich versucht, und meine Eltern haben angefangen, sich zu verändern.
Was hat sich geändert?
Als meine Hauptschullehrerin mich auf eine private Kunstschule schicken wollte, zeigten meine Eltern noch überhaupt kein Interesse. Als ich später das Abi nachholte, waren sie stolz! Und als meine Nichte kürzlich alleine wohnen wollte, waren meine Eltern in der Familie die, die sie am meisten unterstützt haben. Sie haben ihr Dorfleben hinter sich gelassen, sich verändert im Laufe der Zeit. Das ist doch bei uns nicht anders als bei den Deutschen: Da galten vor 30, 50 Jahren auch noch andere Regeln.
Ihre Kinder sind noch klein. Wie werden Sie sich bei der Schulanmeldung verhalten?
Ich weiß es nicht und mache mir jetzt schon viele Gedanken. Ich habe deshalb schon Auseinandersetzungen mit meinem Mann: Er will nicht, dass unsere Kinder auf eine der sogenannten Ausländerschulen kommen. Ich möchte das eigentlich auch nicht, aber ich schäme mich zu sagen: Ich will da nicht hin. Ja, da sind Kinder, die zuhause wenig Anregung, Unterstützung bekommen. Aber das hat ja nicht nur mit ethnischer Herkunft zu tun! Mit Kindern mal ins Museum gehen, Bücher kaufen, schwimmen, in den Zoo - das kostet Geld und viele haben das nicht. Das kann die Schule doch auffangen! Da können doch wir anderen Eltern etwas tun! Am liebsten würde ich einen Verein gründen, damit wir das Problem lösen können - alle zusammen.
Sevim B., 33 Jahre, ist verheiratet und Mutter von 2 Kindern, die derzeit eineinhalb und zweieinhalb Jahre alt sind. Sie lebt seit 32 Jahren in Berlin, hat nach dem Hauptschulabschluß eine Ausbildung zur Arztfachhelferin gemacht, später das Abitur nachgeholt. Derzeit ist sie in Erziehungszeit. Familie B. lebt im Schöneberger Norden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken