■ Interview: Generalbundesanwalt Alexander von Stahl lehnt eine Gesetzesverschärfung im Zusammenhang mit der Welle rechtsradikaler Ausschreitungen ab/ Rechtsterroristische Tendenzen kann Stahl bislang noch nicht entdecken: „Wer Beifall klatscht, macht sich strafbar“
taz: Die Gewalt von Rechtsextremisten ist in den letzten Wochen und Monaten regelrecht explodiert. Allein in diesem Jahr sind zehn Menschen durch derartige Übergriffe ums Leben gekommen. Ist es nicht an der Zeit, daß der Generalbundesanwalt eingreift?
Alexander von Stahl: Ich kann nur eingreifen, wenn die gesetzlich geregelte Strafverfolgungskompetenz der Bundesanwaltschaft gegeben ist. Man darf in diesem Zusammenhang Terrorismus und Extremismus, so gefährlich letzter ist, nicht verwechseln. Meine Zuständigkeit ist geknüpft an das Organisations- und Terrordelikt des Paragraphen 129a. Dieser Straftatbestand ist erfüllt bei einer Vereinigung, deren Zweck und Zielsetzung auf die Begehung bestimmter schwerer Straftaten gerichtet ist. Und die Anforderungen an das Kriterium „Vereinigung“ hat die Rechtsprechung genau umrissen. Es muß sich um den auf gewisse Dauer angelegten organisatorischen Zusammenhang von mindestens drei Personen handeln, die bei Unterordnung unter einen Gesamtwillen gemeinsame Zwecke verfolgen. Diese Willensunterordnung hat der Bundesgerichtshof z.B. bei „Hausbesetzern“ verneint. Organisationsstrukturen im Sinne des Paragraphen 129a sind im rechten Bereich — derzeit jedenfalls — nicht gegeben. Und wenn der Generalbundesanwalt nicht tätig werden kann, heißt das ja nicht, daß dann keine effektive Strafverfolgung stattfindet, denn in unserem föderalen System ist Justiz grundsätzlich Sache der Länder. So haben die örtlichen Staatsanwaltschaften in Mecklenburg-Vorpommern nach den widerlichen Vorfällen in Rostock und Wismar elf Haftbefehle wegen versuchten Mordes erwirkt.
Wenn etwa in Thüringen Rechtsextremisten im Fernsehen vorführen, wie sie mit TNT- Sprengsätzen gegen Ausländerheime vorgehen und als Wehrsportgruppe agieren, dann ist für Sie das konstituierende Moment einer terroristischen Vereinigung nicht erreicht?
In diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft in Erfurt wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen — nicht terroristischen — Vereinigung. Auch hier hat es Festnahmen gegeben. Eine Übernahme durch die Bundesanwaltschaft ist nicht erfolgt, weil zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür fehlen, daß Ziel und Zweck dieser Vereinigung die Begehung besonders schwerer Straftaten ist, die die terroristische Vereinigung von der „nur“ kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 unterscheidet. Wir stehen aber in ständigem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Erfurt und werden das Verfahren sofort übernehmen, wenn sich solche Anhaltspunkte bei den Ermittlungen noch ergeben.
Ihre Zuständigkeit fängt da an, wo die Sicherheit der Bundsrepublik gefährdet ist. Sehen Sie in der Welle der Übergriffe und im Zuwachs organisierter Rechtsextremisten eine Gefahr für den Staat?
Eine Gefahr sehe ich in außenpolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Das deutsche Ansehen in der Welt scheint mir durch die schlimmen Vorgänge bereits erheblich geschädigt. Es beunruhigt mich auch, wenn ausländische Investitionen im Hinblick auf die rechtsextremen Ausschreitungen verzögert oder abgesagt werden. Die innere Sicherheit der Bundesrepublik sehe ich dagegen nicht als gefährdet an. Bis zum heutigen Tag jedenfalls sind diese rechtsextremistischen Straftaten weder bestimmt noch geeignet, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen. Es handelt sich bei den Ausschreitungen meines Erachtens um ein Phänomen, das großenteils nur vordergründig an Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit festgemacht ist. Überwiegend sind die Staftäter Jugendliche und Heranwachsende, die die Straftaten aus den verschiedensten Motiven heraus — Frust, Perspektivlosigkeit, auch Auflehnung gegen die Eltern — begehen. Das Rechtsextremistische und Neonazistische ist meiner Meinung nach in vielen Fällen — bisher glücklicherweise noch — nur symbolhaft aufgesetzt.
Unbestritten ist, daß es innerhalb dieser Gewaltwelle einen neonazistischen Kern gibt. Betrachtet man die Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden, stellt man fest, daß wie zuletzt in Dresden der Hitlergruß plötzlich nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird. Auch ein Verbot neonazistischer Gruppen oder Nachfolgeorganisationen der NSDAP wird nicht in Erwägung gezogen ...
... wofür der Generalbundesanwalt ebenfalls nicht zuständig ist, sondern das Bundesverfassungsgericht beziehungsweise die Innenminister. Ganz allgemein kann man sagen, daß Verbote auch deutliche Warnsignale an mögliche Sympathisanten enthalten. Ich lehne Organisationsverbote deshalb keineswegs von vorneherein ab.
Welche Organisationen kämen dafür in Frage?
Das ist wirklich nicht Sache des Generalbundesanwalts.
Müßte da die „Nationalistische Front“ nicht ganz oben stehen?
Nicht gegen die „Nationalistische Front“ als solche, wohl aber gegen einzelne Mitglieder führe ich ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer als „Nationales Einsatzkommando“ bezeichneten terroristischen Vereinigung. Für dieses Kommando wurde im Herbst letzten Jahres in Aufrufen geworben. Als Vorbild wurde unter anderem die Waffen-SS genannt. Ziel ist nach dem Aufruf der Kampf für ein „völkisches Deutschland“. Ich gehe davon aus, daß von mir veranlaßte bundesweite Durchsuchungen eine größere Anzahl von Personen von einer Beteiligung daran abgehalten haben. Das andere von mir derzeit geführte Ermittlungsverfahren im rechtsterroristischen Bereich betrifft den Verdacht der Gründung oder versuchten Gründung einer Teilorganisation des amerikanischen Ku-Klux-Klan auf deutschem Boden. Auch hier haben bundesweite Hausdurchsuchungen stattgefunden, die möglicherweise im Aufbau begriffene Strukturen bereits zerschlagen haben. Die unnachsichtige Verfolgung halte ich gerade in der gegenwärtigen Zeit, wo der Rechtsextremismus im Aufwind scheint, für geboten. Das gilt im übrigen auch für die Verwendung nazistischer Kennzeichen und Symbole.
Tatsache ist aber, daß wie bei einer Demonstration in Dresden gegen den Hitlergruß nicht vorgegangen wird.
Auch das ist ein Fall für die örtliche Staatsanwaltschaft. Doch es ist kein Zweifel, daß der öffentlich gezeigte Hitlergruß strafbar ist und insoweit auch Verfolgungszwang nach dem Legalitätsprinzip besteht.
In letzter Zeit mehren sich die Vorwürfe gegen Polizei und Justiz, sie seien auf dem rechten Auge blind. Bei der Großdemonstration gegen den Weltwirtschaftsgipfel in München gab es keine Probleme, aus 15.000 Demonstranten in einer aufgeheizten Situation einzelne Leute oder einzelne Transparente herauszugreifen, in Dresden bei 500 Neonazis macht man es nicht. Das gleiche Bild beim Paragraphen 129a: In den letzten beiden Jahren hat es 297 Verfahren gegen sogenannte Linksterroristen und nur sechs gegen Rechtsterroristen gegeben. Ist man bei der Bundesanwaltschaft auf alte Feindbilder eingeschworen?
In den Zeiten, als die Linke auf Straßen und Plätzen virulent war, hatte die Bundesanwaltschaft auch zwischen Extremismus und Terrorismus zu unterscheiden und nur letzteres zu verfolgen. So war die Hausbesetzerszene in Berlin, die Hamburger Hafenstraße oder Wackersdorf kein Fall für die Bundesanwaltschaft. Wir haben terroristische Vereinigungen wie RAF und RZ verfolgt. Und Strukturen, die diese hatten, gibt es — jedenfalls derzeit — auf der rechten Seite zum Glück nicht. Wenn ich aber Kenntnis von solchen Strukturierungen im rechten Lager bekomme, werde ich meine Kompetenzen eher extensiv denn restriktiv ausüben — dessen können Sie sicher sein.
Die Ausrüstung der rechtsextremistischen Straftäter mit CB- Funk oder Störfunkapparaturen wird immer besser, Wehrsportübungen nehmen zu, Bürgerwehren werden gegründet. Sind dies keine Hinweise für eine zunehmende Organisierung?
Das wird genauestens registriert. Doch allein erfüllt es noch nicht die eingangs von mir erwähnten Anforderungen für das Tatbestandsmerkmal der Vereinigung.
Der Ruf nach Gesetzesverschärfungen wird laut. Reichen die bisherigen Gesetze noch aus?
Ich gehöre nicht zu denen, die immer gleich, wenn etwas passiert ist, nach einer Änderung des materiellen Rechts rufen. Das bringt auch vergleichsweise weniger als die schnelle und konsequente Anwendung des geltenden Rechts. Und nachdrückliche und vor allem schnelle Strafverfolgung ist aus meiner Sicht noch immer die beste Prävention. Die Täter sind, wie schon gesagt, zum großen Teil Jugendliche und Heranwachsende. Doch ihre Taten haben eine ganz und gar andere Qualität als „Dummejungenstreiche“. Unser Jugendstrafrecht stellt den Erziehungsgedanken — zu Recht — in den Vordergrund. Ich meine aber, daß man bei der Strafverfolgung dieser Täter den Erziehungsgedanken nicht vernachlässigen muß, wenn man die Taten gleichwohl nachdrücklich ahndet. Doch ich bin mir natürlich darüber im klaren, daß das Strafrecht immer nur Ultima ratio sein kann und man damit gesellschaftliche Phänomene nicht in den Griff bekommt. Allerdings kann durch die Strafverfolgung den Tätern sehr wohl eine Grenze aufgezeigt werden.
Wie soll das funktionieren, wenn Anwohner und Nachbarn bei Ausschreitungen Beifall klatschen?
Wer Beifall klatscht, wenn Molotowcocktails und Steine in Asylantenheime geworfen werden, macht sich selbst strafbar. Das ist strafbare psychische Beihilfe im Sinne der Bestärkung im Tatentschluß beziehungsweise Beseitigung letzter Hemmungen beim unmittelbaren Täter. Das würde ich gerne vor Ort einmal durch die Strafverfolgungsbehörden verdeutlicht sehen.
Diese Randale wird normalerweise losgelöst von den möglicherweise hinter ihnen stehenden Strukturen neonazistischer Gruppen betrachtet. Gerade die Nationalistische Front hat es aber beispielsweise geschafft, in der Skinhead-Szene Fuß zu fassen. Auch die Deutsche Alternative war maßgeblich an Ausschreitungen in Cottbus beteiligt. Bekannt ist weiter, daß Christian Worch von der Hamburger Nationalen Liste immer wieder als Organisator auftritt. Ist es da noch gerechtfertigt, von einer Jugendbewegung zu sprechen?
Die Frage, ob sich hier schon die Ansätze einer Partei- oder Organisationsbildung verfestigt haben, müßten die Verfassungsschutzbehörden beantworten. Gegebenenfalls würde sich auch wieder die Frage des Verbots stellen.
Der bayerische Innenminister Stoiber hat letzte Woche eine Parallele zur Roten Armee Fraktion (RAF) in den 70er Jahren gezogen. Er hat erklärt, mittlerweile gebe es analog als Vorstufe eine rechte Subkultur, aus der ein Rechtsterrorismus hervorgegangen ist.
Auch ich kenne diese Skinheadbands mit ihren grausamen Namen und ekelhaften Liedertexten. Ich würde aber — gestützt auf die Angaben des Bundeskriminalamtes und der Verfassungssschutzämter in Bund und Ländern — in der Bewertung nicht so weit gehen wie der bayerische Innenminister. Links hat es seinerzeit erheblich mehr intellektuelle Führer und strukturierende Ideen gegeben. Auch das Organisationsniveau war wesentlich höher. Im Bereich des Rechtsextremismus kommt mir dies heute doch vergleichsweise dumpf vor. Der Kristallisationspunkt hier ist der Ausländerhaß und die Fremdenfeindlichkeit, wie aber auch die Angst um die eigene Existenz oder Identität. Rechtsterroristische Strukturen kann ich hier bisher nicht erkennen.
Und die weitere Entwicklung? Wird die Zahl der Ausschreitungen und Übergriffe eher zu- oder abnehmen?
Ich fürchte, daß wir auf längere Zeit mit einem gewissen rechtsradikalen Potential leben müssen. Und solange diese Täter merken, welche Aufmerksamkeit sie durch diese Straftaten erregen, so lange wird es auch schon aus diesem Grund zu weiteren Taten dieser Art kommen. Das Gespräch führten
Wolfgang Gast und Bernd Siegler
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