Internationale Energiekonferenz „renewables 2004“ (4) : Die am wenigsten entwickelte erneuerbare Energie: Meereskraft
Am 1. Juni beginnt in Bonn die Internationale Konferenz für erneuerbare Energien – „Renewables 2004“. Regierungsvertreter aus 150 Staaten wollen einen Aktionsplan beschließen. Ziel ist, ab dem Jahr 2050 die Hälfte des Weltenergieverbrauchs aus regenerativen Quellen zu decken. In dieser Serie erklärt die taz, welche Quellen und Potenziale es gibt.
Der Klassiker steht in der Bretagne. In den Jahren 1961 bis 1966 errichtet, ist das Gezeitenkraftwerk bei St. Malo noch heute das größte weltweit. Kein Wunder, denn an der Mündung des französischen Flusses Rance herrschen Bedingungen, wie man sie nur an wenigen Orten der Erde findet: Der Tidenhub, also der Höhenunterschied zwischen täglichem Hoch- und Niedrigwasser, liegt im Mittel bei 14 Metern.
Die Betreiberfirma Electricité de France gewinnt an diesem Standort mittels 24 Turbinen à 10 Megawatt etwa die halbe Leistung eines kleinen Atomkraftwerks. In Kanada und China wurde jeweils eine Anlage im zweistelligen Megawattbereich errichtet, in Russland ein Minikraftwerk mit 400 Kilowatt.
Da die Gezeitenkraftwerke an den Küsten spezielle Voraussetzungen benötigen – großen Tidenhub in einer engen Bucht – ist ihr Ausbaupotenzial überschaubar. Leichter sind Standorte zu finden, an denen ein Sekundäreffekt der Gezeiten zu nutzen ist: die Meeresströmung.
Die erste Meeresströmungsturbine der Welt ging letztes Jahr vor der Küste der englischen Grafschaft Devon in Betrieb. Die Anlage sieht aus wie ein Windrad unter Wasser: Der Rotor hat 11 Meter Durchmesser, dreht sich 15-mal pro Minute, die Leistung beträgt 300 Kilowatt.
Künftige Anlagen, schätzen Wissenschaftler, werden eine Leistung von 600 oder 800 Kilowatt erreichen. Megawattanlagen gelten als wenig realistisch, weil der Rotor unter Wasser nicht zu groß werden darf. Ideale Wassertiefen liegen bei 15 bis 20 Metern bei Fließgeschwindigkeiten von 2 bis 3 Metern pro Sekunde – Bedingungen, die es an deutschen Küsten nicht gibt. Großbritannien könnte aber 10 bis 20 Prozent seines Strombedarfs mit der Meeresströmung decken.
Das größte Potenzial unter den maritimen Energien hat jedoch die Wellenkraft. Eine Studie der MVV Consulting, einer Tochter des Mannheimer Energieversorgers MVV Energie AG, ergab, dass in Irland und Großbritannien 30 Prozent des Strombedarfes mit küstennaher Wellenkraft gedeckt werden können. In Europa insgesamt liege das Potenzial bei 120 Terawattstunden jährlich, das entspricht etwa 5 Prozent des Stromverbrauchs.
Doch die Kraft der Wellen bringt auch Probleme: Zahlreiche Prototypen schwimmender Kraftwerke wurden durch die rauhe See zerstört. Erfolgversprechender sind Anlagen an der Küste. Eine mit einer Leistung von 500 Kilowatt wurde im Jahr 2000 auf der schottischen Insel Islay errichtet, eine zweite soll auf den Färöer-Inseln entstehen. Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass die Turbinen nicht vom Wasser direkt angetrieben werden, sondern von einem oszillierenden Luftzug, der in Schächten durch die Bewegungen des Wassers entsteht. BERNWARD JANZING