Institut belastet Polens Ex-Präsident: Neue Spitzel-Vorwürfe gegen Walesa
Polens Ex-Staatschef soll für die polnische Stasi gearbeitet haben, behauptet eine neue Studie. Doch die verwendeten Quellen hat ein Gericht bereits für gefälscht befunden.
WARSCHAU taz Polens Arbeiter- und Freiheitsheld und spätere Präsident Lech Walesa (1990-1995) soll in Wirklichkeit der Stasi-Spitzel "Bolek" gewesen sein, die Gewerkschaft Solidarnosc eine Gründung des kommunistischen Sicherheitsdienstes und die heutige polnische Demokratie eine Seilschaft aus alten Kommunisten, Mafiabossen und Pseudodemokraten.
Diese Vorwürfe tauchten in den letzten Jahren immer wieder auf, wurden aber als abwegig abgetan. Nun aber greift das staatliche Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), das wie die Birthler-Behörde in Deutschland die Stasiakten des Landes verwaltet, den Spitzelvorwurf gegen Walesa erneut auf. Die rechtskonservativen Autoren Slawomir Cenckiewicz und Piotr Gontarczyk, die beide am IPN tätig sind, legten gestern ihr 700-Seiten Werk "Der Staatssicherheitsdienst und Lech Walesa. Ein Beitrag zu seiner Biografie" vor.
Doch der wiedererweckte "Bolek" wendet sich nun mit aller Macht gegen seine Schöpfer. Denn das IPN hat offensichtlich bewusst gefälschte Berichte der Stasi als echte ausgegeben, um die geplante Vernichtung Walesas durch die Kommunisten in den 1980er-Jahren zu Ende zu bringen. Das sogenannte Durchleuchtungsgericht jedenfalls, das Lech Walesa im Jahre 2000 von jedem Stasi-Verdacht freisprach, will den "Fall Walesa" nicht erneut aufrollen. Ein Graphologe habe eindeutig festgestellt, dass die Handschriften Boleks und Walesas nicht identisch seien.
In den Jahren 1978 bis 1982 hätte die polnische Stasi 14 Aktenordner mit Dokumenten fabriziert, die gegen Walesa eingesetzt werden sollten - bei einem Prozess gegen ihn oder zur Kompromittierung seiner Person. 1982 hätten die Kommunisten einen Teil dieser gefälschten Akten nach Oslo geschickt, um die Verleihung des Friedensnobelpreises an Walesa zu verhindern.
Die Vorwürfe, die nun die IPN-Historiker gegen Walesa erhöben, seien absolut "unberechtigt", so das Gericht. "Das IPN ist heute eine politisch korrumpierte Behörde, die in den Augen der meisten Polen ihre Glaubwürdigkeit verloren hat," erklärt der renommierte Solidarnosc-Historiker Professor Jerzy Holzer gegenüber dieser Zeitung. Sie sei heute eine Art verlängerter Arm der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Obwohl die Regierungskoalition des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski nach nur zwei Jahren scheiterte, hat er über seine damaligen Personalentscheidungen noch immer großen Einfluss auf das politische Geschehen im Lande. "Der Chef des IPN, Janusz Kurtyka, ist ein Kaczynski-Mann", sagt Holzer. "Mit diesem Buch soll Walesa als Verräter enttarnt werden. Denn der Arbeiterheld und spätere Präsident Polens steht als Schlüsselfigur für die heutige Dritte Republik, die die Kaczynskis abschaffen wollen."
Beide Kaczynskis - Jaroslaw, der Expremier, und Lech, der derzeitige Staatspräsident Polens - hätten Walesa schon vor Erscheinen des Buches als "Bolek" bezeichnet und sich damit selbst als Ideen-, wenn nicht gar Auftraggeber dieser Anti-Walesa-Schrift enttarnt. Für Holzer aber ist klar: "Das politische Kalkül der Kaczynskis wird nicht aufgehen, denn genau dieser Aggressivität der PiS-Leute sind die Polen überdrüssig. Diese Aktion ,Walesa ist ein Spitzel' erinnert sie an den Horror der PiS-Regierung von 2005 bis 2007."
Tatsächlich glaubt Umfragen zufolge die überwiegende Mehrheit der Polen Walesa und nicht den Kaczynskis oder den IPN-Historikern. "Das ist kein Wunder", so der Professor. "Vom IPN erhofften sich alle die Aufklärung über kommunistische Verbrechen und die Rehabilitierung der Opfer. Doch jetzt scheinen einige IPN-Historiker zu Handlangern der alten Kommunisten geworden zu sein. So jemandem glaubt man nicht mehr."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!