Inka Schube, Kuratorin: "Eine nüchterne Art von Zuneigung"
Der hannoversche Fotograf Heinrich Riebesehl prägte mit seinen Aufnahmen von norddeutschen Landschaften die künstlerische Fotografie in Deutschland. Am Wochenende ist er 72-jährig gestorben. Sein Archiv verwaltet das Sprengel-Museum in Hannover, dessen Abteilung für Fotografie von Inka Schube geleitet wird.
taz: Frau Schube, welcher Teil von Heinrich Riebesehls Werk wird in die deutsche Fotografiegeschichte eingehen?
Inka Schube: Viele seine Serien, insbesondere aber die Serie der Agrarlandschaften. Es ist sicher sein berühmtestes Werk und wurde 1979 publiziert. Es gilt als eines der erste Autoren-Fotobücher, die in Deutschland publiziert wurden.
Worum geht es bei den Agrarlandschaften?
Heinrich Riebesehl hatte über Jahre hinweg Norddeutschland als agrarisch genutzte Fläche fotografiert. Es sind Bilder, die das flache Land zeigen, Felder, Rinder, Dörfer, immer in sehr tief angesetztem Horizont.
Worin liegt der künstlerische Aspekt?
Heinrich Riebesehl entwickelte einen sehr nüchternen, fast strengen fotografischen Blick. Die amerikanischen Fotografen der New Topographics machten in jenen Jahren auf sich aufmerksam - unter anderem Robert Adams, Stephen Shore, Bernd und Hilla Becher, die als Deutsche kurzerhand eingemeindet wurden. Auch die Schnörkel- und Umstandslosigkeit der Fotografie eines Walker Evans kam Riebesehl sicher sehr entgegen. Riebesehl wurde einmal als "Landvermesser" bezeichnet. Das trifft es ganz gut: Der Blick ist so nüchtern, dass sich die Landschaft quasi frei stellt. Die Landschaft dient nicht der Kommunikation individueller Befindlichkeit, sondern wird auf einer übergreifenderen Ebene sozusagen vermessen.
49, studierte Archäologie, Kulturtheorie und Kunstgeschichte und ist Kuratorin für Fotografie und am Sprengel Museum Hannover.
Wobei man schon den Eindruck hat, dass er das mochte, was er fotografierte.
Das widerspricht sich nicht. Es ist eben eine sehr nüchterne, vielleicht typisch norddeutsche Art von Zuneigung.
Ist Riebesehl letzten Endes ein Heimatfotograf?
Ich weiß gar nicht so genau, was dieser Begriff meint. Er riecht im Zeitalter globaler Dauermobilität ein ein bisschen muffig, oder? Die Fotografiegeschichte weiß von vielen Fotografen, die ihren Aktionsradius auf ein kleines Feld beschränken und gerade auf diese Weise eine sehr besondere fotografische Intensität und Präzision entwickeln. Aus der vermeintlichen Enge heraus entwickeln sich Zugänge zu sehr komplexen und allgemeingültigen Fragen - und Bilder, die diese Fragen kommunizieren.
Was hat Riebesehl am meisten interessiert an der norddeutschen Landschaft?
Da kann man natürlich nur spekulieren. Ich denke, es ist die Nutzung von Landschaft. Es ist ein Blick, der sagt: Das ist etwas, mit dem wir alltäglich umgehen. Also eine Gebrauchsweise von Landschaft.
Ein anderes berühmtes Foto ist Riebesehls Portrait von Joseph Beuys aus dem Jahr 1964. Welche Rolle spielt das Foto in seinem Werk?
Riebesehl hatte bei Otto Steiner an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen Fotografie studiert. Man unternahm gemeinsam Ausflüge, besuchte Ausstellungen. Das Bild stammt aus der Serie "Happenings", in der er Mitte der 60er Jahre eine ganze Reihe Veranstaltungen dieser Art dokumentierte.
Wie kam Riebesehl danach zu den Landschaften?
Er zog nach dem Studium über Umwege nach Hannover und setzte sich sehr intensiv mit dem fotografischen Portrait auseinander. Da gibt es zum Beispiel die Serie "Menschen im Fahrstuhl": Riebesehl fotografierte an einem spätherbstlichen Donnerstag des Jahres 1969 mit einer versteckten Kamera im Fahrstuhl des Hannoveraner Pressehauses. Es ist eine Portrait- und Beobachtungssituation auf engstem Raum. Knapp zwei Jahre später entstehen Selbstdarstellungen, von den Porträtierten mittels Selbstauslöser aufgenommen. Er versuchte sich in einer am Surrealismus geschulten Bildsprache und kam dann offenbar irgendwann in Niedersachsen, in diesem flachen Land von spröder Schönheit an.
Hatte er Schwierigkeiten, als Künstler anerkannt zu werden?
Heinrich Riebesehl gehörte der Generation an, die die Anerkennung der Fotografie als Kunst in Deutschland mitbewirkt hat. Er hat als Professor an der Fachhochschule in Hannover Fotografie unterrichtet und 1972 gemeinsam mit Kollegen die Spectrum Photogalerie gegründet. Die ist dann nach der Eröffnung des Sprengel Museum Hannover in das Museum umgezogen und ist damit die Keimzelle der heutigen Abteilung für Fotografie in diesem Haus. Nicht umsonst gibt es den Internationalen Spectrum-Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen. Heinrich Riebesehl hat das Bewusstsein für Fotografie in dieser Region wesentlich mitgeprägt.
Wie steht es um seinen Bekanntheitsgrad über Niedersachsen hinaus?
Heinrich Riebesehl gehört - in dem ganzen Spektrum seines Werkes und seiner Aktivitäten - ohne Zweifel auch international zu den Großen der Fotografie.
Welche Rolle spielte das Thema Ruhm für ihn?
Fotografie war Arbeit an der Fotografie, nicht eine Art Weg zum Ruhm. Es ging und geht darum, Arbeitsmöglichkeiten zu finden, Projekte verfolgen zu können - der Ruhm kann in diesen Dingen hilfreich sein, ist aber kein Selbstzweck. Heinrich Riebesehl war ein eher bescheiden auftretender Mensch. Ich habe ihn relativ spät kennen gelernt und an ihm auch seinen freundlichen, trockenen, unaufdringlich ironischen Humor geschätzt. Seine Fotografie hat in ihrer Sprödigkeit eine Art umgedrehte Halbwertszeit. Sie wird, je mehr Zeit vergeht, umso bedeutsamer.
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