Industrie-Ausschuss rügt Komission: EU bei Biosprit auf einem "Irrweg"
Die EU hat ein ambitioniertes Ziel für den Ausbau von Biosprit. Dem Industrie-Ausschuss des EU-Parlaments geht das zu weit - und er hat ausgerechnet Greenpeace auf seiner Seite.
BRÜSSEL taz/dpa Im Streit um die umstrittenen Biosprit-Pläne steuert die Europäische Union auf einen Kompromiss zu. Mit einer deutlichen Mehrheit von 50 zu 2 Stimmen forderte der Industrieausschuss des EU-Parlaments am Donnerstag, das von den Staats- und Regierungschefs der EU vereinbarte Biosprit-Ziel aufzuweichen. Statt auf zehn Prozent soll der Anteil von Agrotreibstoffen wie Raps- oder Palmöl und Bioethanol bis 2020 nur auf sechs Prozent steigen. Weitere vier Prozent des Kraftstoffs sollen künftig durch Elektro- und Hybridantriebe sowie durch neue Biokraftstoffe, etwa aus Holzabfällen, ersetzt werden.
Greenpeace begrüßte die Entscheidung als "Schritt in die richtige Richtung". Agrosprit ist umstritten, weil er für steigende Nahrungsmittelpreise und die Rodung von Regenwald-Flächen verantwortlich gemacht wird. "Die EU-Kommission hat nicht den Mut, ihren Irrweg einzugestehen", sagte der Berichterstatter Claude Turmes von den Fraktion der Grünen. "Das Europaparlament hat diesen Mut."
Außerdem stimmt der traditionell wirtschaftsfreundliche Industrieausschuss mit knapper Mehrheit dafür, die CO2-Zertifikate ab 2020 komplett an die Industrie zu versteigern. Damit folgten die Abgeordneten grundsätzlich dem Vorschlag der EU-Kommission. Am Ende müssen sich das Plenum des Europaparlaments sowie die EU-Mitgliedstaaten auf einen Kompromiss einigen. Die EU-Kommission hofft auf eine Einigung noch vor den internationalen Klimaverhandlungen im Dezember, damit Europa dort mit einer Stimme sprechen kann. In der Bundesregerierung streiten Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Wirtschaftsminister Michael Glos (CDU) derzeit heftig um Ausnahmen von der Versteigerung.
Auch im EU-Ausschuss gab es Widerstand aus der CDU: Bei der Versteigerung würden die Verbraucher die Zeche zahlen, sagte Abgeordnete Herbert Reul. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie übte scharfe Kritik: Die EU gefährde "die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie", sagte Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf.
Große Potenziale sehen die Europaabgeordneten bei den erneuerbaren Energien. "In den nächsten Jahren werden wir in der Nordsee einen Windpark hinstellen, der 15 Atomkraftwerken entspricht. Durch bessere Stromverbindungen ist der Energieverlust viel geringer als früher", sagte Turmes. Noch 2001 hätten bei einer Abstimmung im Industrieausschuss die deutschen Konservativen dagegen gestimmt, den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix gesetzlich vorzuschreiben. Heute seien die meisten dafür - "300.000 neue Arbeitsplätze in der EU in diesem Bereich sind eine Erfolgsgeschichte."
Eine Einigung bis zum Jahresende würden die Unionsabgeordneten Herbert Reul und Werner Langen gern verhindern. Langen kritisiert, dass "CO2-freie Energiearten wie etwa die Kernenergie" nicht auf das bis 2020 angestrebte Ziel von mindestens 20 Prozent Erneuerbaren angerechnet werden sollen. Es gebe noch eine Menge Erklärungsbedarf, bevor die Richtlinie in Kraft treten könne, glaubt Langen.
Turmes hingegen wettert gegen diese Verzögerungstaktik. "Dahinter steckt die Wirtschaftslobby. Sie wollen keine Einigung vor den Europawahlen im Juni 2009. Das würde bedeuten, dass wir den Klimagipfel von Kopenhagen im nächsten Jahr nicht überzeugend vorbereiten können", sagte der Grünen-Abgeordnete. "Vor Rio 1992 lief das genauso. Wir haben bereits 15 Jahre verloren, viele Menschen werden deshalb sterben. Was diese Leute tun, ist in hohem Maße verantwortungslos."
Unterstützung bekamen die Parlamentarier von einer neuen Eurobarometer-Umfrage, die Umweltkommissar Stavros Dimas am Donnerstag vorstellte: Zwei Drittel der Europäer halten den Klimawandel direkt nach der Sorge um Nahrung und Trinkwasser für das größte Problem "auf der ganzen Welt".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“