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Indonesien wähltDer Korso der Generäle

Elf Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur ist Indonesien eine lebendige Demokratie - mit der hartnäckigen Sehnsucht nach einem "starken Führer".

Wahlen made in Indonesia: Ein Helfer transportiert Wahlurnen zum Stimmlokal. Bild: ap

JAKARTA taz | Die Jalan Kebon Kacang Raya im Herzen der indonesischen Hauptstadt Jakarta ist ein schmales Band, das zwischen zwei Welten verläuft. Links ragen die spiegelnden Fassaden von Kempinski Hotel und "Grand Indonesia Shopping Town" in den Himmel. Rechts drängen sich Mopeds in enge Gassen, vorbei an Häusern mit Wellblechdächern, unter denen verblichene Kleider zum Trocknen in der Sonne hängen. An den Warungs, den kleinen Garküchen, die Bratreis oder Nudelsuppe verkaufen, herrscht Hochbetrieb. Am Rand dieser Straße, die nach Tanah Abang führt, picken Hühner im Müll.

Tanah Abang, traditionell das Viertel der arabischen Händler, beheimatet mit dem Pasar Tanah Abang den größten traditionellen Textilmarkt Südostasiens. In den engen Gängen, von Neonröhren beschienen, kaufen jene ihre Sarungs, Bettwäsche und Kindersachen, die sich den feinen Zwirn aus den Malls der Hauptstadt nicht leisten können. Und das sind die meisten. Kein Wunder also, dass nacheinander alle drei Kandidaten für die Präsidentschaftswahl am 8. Juli den Händlern und ihren Kunden ihre Aufwartung machten.

Aufmarsch der Kandidaten

Der amtierende Präsident Susilo Bambang Yudhoyono pries die traditionellen Märkte des Landes als Rückgrat der Wirtschaft. Seine Rivalin Megawati Sukarnoputri, die das Land von 2001 bis 2004 regierte und nun erneut in den Präsidentenpalast einziehen möchte, erörterte ihr Wirtschaftsprogramm für die "kleinen Leute". Und Jusuf Kalla, Kandidat Nummer drei und amtierender Vizepräsident versprach den Händlern, alles dafür zu tun, dass sie gegen die Billigpreise von Großunternehmern konkurrenzfähig blieben.

Der 39-jährige Stoffhändler Joy hat allen dreien die Hand geschüttelt. Gestützt auf riesige Stoffballen, erklärt er, warum ihn trotzdem nur der Amtsinhaber Yudhoyono überzeugt. "Er bekämpft endlich die Korruption, und unsere Wirtschaft steht ganz gut da", sagt Joy. So wie er denken viele Indonesier. In Zeiten der globalen Krise betrug das indonesische Wirtschaftswachstum dank starker Binnennachfrage im ersten Quartal 2009 noch immer 4,4 Prozent. Außer China und Indien kann derzeit kein anderes asiatisches Land auf solche Zahlen verweisen. Ein Zeichen für die Fortsetzung seines erfolgreichen Wirtschaftskurses setzte Yudhoyono mit der Ernennung des parteilosen Zentralbankchefs Boediono zu seinem Vizekandidaten.

Auch die Bilanz im Kampf gegen die Korruption kann sich sehen lassen. Die staatliche Antikorruptionskommission sorgte dafür, dass einflussreiche Funktionsträger angeklagt und verurteilt wurden. Im Juni verhängten die Richter eine viereinhalbjährige Haftstrafe gegen einen Verwandten des Präsidenten - für viele Indonesier ein weiterer Beweis, dass ihr Präsident bei Korruption keine Milde kennt.

Auch im Ausland machte Yudhoyono mit seiner zurückhaltenden, diplomatischen Art eine gute Figur. Wer wissen wolle, ob Islam mit Demokratie, Modernität und Frauenrechten vereinbar sei, der solle nach Indonesien fahren, lobte US-Außenministerin Hillary Clinton das Land mit der zahlenmäßig stärksten muslimischen Bevölkerung der Welt. Indonesien findet international zunehmend Anerkennung.

170 Millionen Wahlberechtigte

Der südostasiatische Inselstaat Indonesien ist die drittgrößte Demokratie weltweit. Rund 170 Millionen Wahlberechtigte wählen heute einen neuen Präsidenten für eine Amtszeit von fünf Jahren. Als Favorit gilt der Amtsinhaber Susilo Bambang Yudhoyono, dem die meisten Umfrageinstitute einen Wahlsieg im ersten Wahlgang voraussagen. Sollte Yudhoyono jedoch die dafür nötigen 50 Prozent der Stimmen verfehlen, kommt es am 8. September zu einer Stichwahl. Die Demokratische Partei (PD) des Präsidenten errang bei den Parlamentswahlen im April knapp 21 Prozent der Stimmen. Yudhoyono ist also auch im Fall eines klaren Sieges auf Koalitionen angewiesen, um regierungsfähig zu sein. Unterstützt wird seine Kandidatur von den vier großen islamischen Parteien im Parlament, die im April zusammen rund 24 Prozent der Stimmen bekamen, sowie 18 weiteren nicht im Parlament vertretenen Parteien.

Es ist erst 11 Jahre her, dass Diktator Suharto nach wochenlangen, zum Teil blutigen Protesten nach 32 Jahren autoritärer Herrschaft zurücktrat. Seitdem erfreuen sich Indonesier einer freien Presse, einer regen Zivilgesellschaft und nun - zum zweiten Mal nach 2004 - einer direkten Präsidentschaftswahl. Die Demokratie funktioniere prima, ist Stoffhändler Joy überzeugt, auch wenn das Militär noch immer stark sei.

Wie stark, das zeigt sich schon daran, dass unter den sechs Kandidaten für das Amt von Präsident und Vizepräsident, drei ehemalige Generäle sind. Yudhoyono, der amtierende Präsident, gilt westlichen Diplomaten ebenso wie vielen indonesischen Intellektuellen als der "gute General". Zwar vollzog sich die militärische Karriere des zum Teil in den USA ausgebildeten Yudhoyono in der Suharto-Zeit. Dennoch galt Yudhoyono, der zur Zeit von Suhartos Sturz Chef der sozialpolitischen Abteilung der Streitkräfte war, als "thinking general" und als Reformer.

In weniger gutem Licht erscheint hingegen die Vergangenheit von Exarmeechef Wiranto, der 2004 mit einer eigenen Präsidentschaftskandidatur scheiterte und nun als Vize von Jusuf Kalla kandidiert. Wiranto, einst Adjutant von Diktator Suharto, befehligte die indonesische Armee im Sommer 1999, als die Bevölkerung Osttimors sich in einem Referendum für die Unabhängigkeit von Indonesien aussprach. Proindonesische Milizen richteten daraufhin mit Unterstützung von Teilen der Armee ein Blutbad an. 2004 erließ ein von den Vereinten Nationen unterstütztes Tribunal in Osttimor gegen Wiranto einen Haftbefehl. Ihm wurde zur Last gelegt, für "Mord, Deportationen und Verfolgung" an Zivilisten mit verantwortlich zu sein.

Der smarte Wiranto, der bei Wahlkampfveranstaltungen lieber mit seinen Sangeskünsten glänzt als mit einem selbstkritischen Blick zurück, bestreitet bis heute, dass es Kriegsverbrechen in Osttimor gab. Ein weiterer Vizepräsidentschaftskandidat lässt bei Menschenrechtlern ähnlich die Alarmglocken schrillen: Prabowo Subianto, der einst in Osttimor Suhartos gefürchtete Elitetruppe Kopassus befehligte und maßgeblich am Aufbau von proindonesischen Milizen beteiligt gewesen sein.

Prabowo, der Exschwiegersohn von Suharto wurde nach dessen Sturz 1998 aus dem Armeedienst entlassen. Er genießt beste unternehmerische Verbindungen und hat Unsummen privates Geld in den Wahlkampf gepumpt. Der gemeinsam mit der Expräsidentin Megawati kandidierende Prabowo reist derzeit durchs Land, um eine "Ökonomie des Volkes" zu propagieren und gegen die Dominanz ausländischen Kapitals zu wettern. Seine schlichte Wortwahl und sein zackiger Ton kommen gut an bei den "kleinen Leuten".

Fragen danach, woher sein Reichtum kommt und welche Rolle er bei den Entführungen von Aktivisten kurz vor Suhartos Sturz spielte, beantwortet Prabowo eher knapp. "Unter einem Regime heißt es vorbeugende Haft, und beim nächsten heißt es Kidnapping", ließ er kürzlich Journalisten wissen.

Nezar Patria hat seine "vorbeugende Haft" noch nicht vergessen. Drei Monate hat er in einer Folterzelle zugebracht. Der 38-jährige Journalist und ehemalige Studentenaktivist wurde im März 1998 gemeinsam mit drei Freunden entführt. Er hat nicht vergessen, wie ihm Elektroschocks durch den Körper gejagt wurden. Wie er mit seinem Leben abschloss, als die Wärter ihm eines Tages sagten, er solle beten und einen letzten Wunsch äußern. Patria kam wenige Tage später frei, doch einige der damals Verschwundenen sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.

"Für uns Opfer ist der Aufstieg von Menschenrechtsverletzern zu Aspiranten auf die höchsten Ämter im Staat ein Schlag ins Gesicht", sagt Patria. Dass die Täter nicht verurteilt würden, zeige, dass die Transformation zu einem demokratischen Staat noch nicht vollzogen sei. Zu viele Kräfte der alten Zeit beherrschten noch immer das politische System. Patria - und mit ihm viele Vertreter der 98er Demokratiebewegung - hofft darauf, dass bei den nächsten Wahlen 2014 eine neue Generation an die politischen Schalthebel kommt, die ihre politische Laufbahn nicht mehr dem alten System verdankt. Doch dass den Opfern von Menschenrechtsverletzungen dann Gerechtigkeit widerfährt ist nicht sicher.

Denn befördert wird die Straflosigkeit durch eine politische Kultur, die jegliche direkte Konfrontation vermeidet. So gerieten die im Wahlkampf zur Primetime ausgestrahlten TV-Debatten der Kandidaten zu einer Aneinanderreihung von Monologen, nicht etwa von Journalisten moderiert, sondern von Akademikern, die keinerlei kritische Fragen zur Vergangenheit stellten.

Geschichtsvergessenheit

Angesichts fortgesetzter ökonomischer Unsicherheit und zunehmender Geschichtsvergessenheit ist das Volk kaum an juristischer Aufarbeitung vergangenen Unrechts interessiert. Im Gegenteil: Vor allem jene, die vom Wirtschaftswachstum nicht profitieren, singen Loblieder auf die alten Zeiten. "Unter Suharto ging es uns besser", sagt eine Blusenverkäuferin im Textilmarkt von Tanah Abang, die ihren Namen nicht nennen will. Dass Suharto nicht frei gewählt war, ist ihr egal, "unsere Zukunft war sicher damals".

Die kleine, hagere Frau mit den streng zum Zopf gebundenen langen Haaren ist allein erziehende Mutter von zwei Kindern. Sie klagt über steigende Preise und die noch immer grassierende Korruption. Ob sie zur Wahl geht, weiß sie noch nicht. Auf jeden Fall hat sie kein Problem damit, von Exgenerälen regiert zu werden. "Wenn irgendetwas ist, dann brauchen wir doch einen starken Führer."

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