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Individuell fördern statt beschützen

■ Viele behinderte Menschen könnten in die Arbeitswelt eingegliedert werden Von T. Schubert

„Wir haben nichts gegen beschützende Werkstätten, aber sie integrieren nicht genug behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt.“ Rudi Taneden vom Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. stellt klar: Das Angebot auf dem Arbeitsmarkt entspreche nicht den beruflichen Wünschen und Möglichkeiten von behinderten Menschen. Deren alternative Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten waren am Wochenende Thema einer Veranstaltung, zu der der Hamburger Spastikerverein rund 280 Teilnehmer aus elf Ländern ins „Rauhe Haus“ geladen hatte.

„Bisher arbeiten in Deutschland ungefähr 142.000 behinderte Menschen in sogenannten beschützenden Werkstätten“, beschreibt Taneden die übliche Praxis, „für einen Stundenlohn von 1,50 Mark“. Nur 0,3 Prozent der dort Beschäftigten würden auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt. „Viel zu wenig“.

Daß diese „berufliche Alternativlosigkeit“ durchbrochen werden kann, zeigen verschiedene Projekte. So arbeiten im Hamburger „Stadthaus-Hotel“ neun behinderte Jugendliche im Alter zwischen 21 und 23 Jahren. „Die Gruppe war bereits in der Schule zusammen“, berichtet der Pädagoge Andreas Hintz. „Ihre Stärke: Gäste bewirten.“ Da lag die Idee eines Hotel-Projekts auf der Hand. Ein Elternverein setzte sie um. Mit Erfolg: „In einem halben Jahr hatten wir fast 1000 Übernachtungen.“ Bei nur elf Betten. Und auch der Verdienst stimmt. „Nach Tarif“, sagt Andreas Hintz. Also 800 Mark im Monat für eine halbe Stelle. Außerdem wohnen die Jugendlichen in einer Wohngruppe über dem Hotel.

Einen anderen Ansatz verfolgt die „Hamburger Arbeitsassistenz“. „Wir vermitteln Menschen mit geistiger Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und unterstützen sie direkt an ihrem Arbeitsplatz“, erklärt Achim Ciolek. Er erzählt von einer mongoloiden Frau, deren Berufswunsch Serviererin war. „Normalerweise unerreichbar, weil sie nicht schnell genug ist.“ Doch mit „individueller Hilfe“ und „flexiblen Arbeitsstrukturen“ konnte für die Frau ein Arbeitsplatz bei „Mövenpick“ gefunden werden. Sie deckt dort die Tische ein. „Ihr Arbeitgeber ist mit ihr sehr zufrieden“, sagt Achim Ciolek. Zur Unterstützung wird sie einige Stunden in der Woche von einer Betreuerin am Arbeitsplatz besucht.

Inzwischen hat die „Hamburger Arbeitsassistenz“ 38 behinderte Menschen in feste, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse vermittelt. „Menschen, die in normalen Vermittlungsverfahren keine Chance hätten“, sagt Achim Ciolek. Das zeigt: Viele Behinderte könnten ein normales Leben führen, „wenn sie individuell unterstützt werden“. Dann hilft auch gesunden Menschen die Kompetenz ihrer behinderten Arbeitskollegen.

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