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Individualisiertes Problem

■ betr.: „Kleine Pille gegen Brust krebs?“, taz vom 9. 4. 98

[...] Das Problem der Krebsprophylaxe ist vielschichtig und liegt meines Erachtens unter anderem bei der mangelnden politischen Lobby für Krebsprävention. Die betroffenen Frauen machen sich unsichtbar, weil sie die Tatsache, an Krebs erkrankt zu sein, immer noch als persönlichen Makel werten. [...] Statt sich als Opfer einer gesundheitsschädigenden Politik zu verstehen und zusammenzuschließen, um zum Beispiel das Verbot von Hormonzusätzen bei der Fleischmast durchzusetzen, lassen sie sich verunsichern durch Tendenzen in Medien und Bevölkerung, das Problem zu individualisieren (und damit zu isolieren) und suchen die Ursachen eher im persönlichen Verhalten.

Abgesehen davon sind viele – verständlicherweise – erst mal so mit ihrer Behandlung einerseits und der psychischen Belastung durch Diagnose und Reaktion der Umwelt andererseits beschäftigt, daß ihnen kaum Kraft, Energie und (Lebens-)Zeit für die politische Analyse und Aktion bleibt (und da nehme ich mich selber nicht aus).

[...] Die Forschung setzt sich mit Methoden der Krebsprophylaxe bisher zu wenig und einseitig auseinander. Hinter der „kleinen Pille“ steckt ein Pharmariese mit Millionenumsätzen – der weiß seine Produkte zu vermarkten. Viele ander Prophylaxemöglichkeiten – Bausteine einer krebsfeindlichen Ernährungs- und Lebensweise – haben nicht diese Lobby hinter sich: Soya zum Beispiel hat eine ähnlich antiöstrogene Wirkung wie Tamoxifen – und das ohne Nebenwirkungen.

[...] Ich war vor 15 Jahren Zuhörerin bei einer Lesung der schwarzen amerikanischen Dichterin Audre Lorde (u.a. „Krebstagebuch“, Orlanda) und beeindruckt von ihrer Haltung, sich nicht als Opfer, sondern als Kämpferin zu begreifen. Sie ließ sich nach der erfolgten Brustamputation Kleidungsstücke entwerfen, die ihre Einbrüstigkeit nicht versteckten, sondern akzentuierten. Damals versuchte ich mir vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn alle brustkrebstbetroffenen Frauen (inzwischen jede Zehnte) sich „outen“ würde, um das wahre Ausmaß der Bedrohung deutlich zu machen. Was, wenn jeder Politiker, jede Politikerin sich vor Entscheidungen, die die hormonelle Beeinflussung unseres Körpers betreffen – das Verbot oder Nicht-Verbot von krebserregenden Weichmachern bei PVC zum Beispiel –, sich von betroffenen Müttern, Tanten, Schwestern, Freundinnen umringt sähen, die deutlich machten, daß nicht so einfach die Zukunft vieler Frauen aufs Spiel gesetzt werden kann.

[...] Frauen, die sich mit den vielfältigen Möglichkeiten einer krebsabwehrenden Lebensweise auseinandersetzen wollen, finden umfassende Anregungen in dem Buch von Susan Weed, „Brustgesundheit – Brustkrebs“, das bei Orlanda erschienen ist. Christiane Marloth, Berlin

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