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IndienKlimakiller Mittelklasse

Die These, der Klimaschutz gefährde das Aufholen der indischen Gesellschaft, gerät auf dem Subkontinent immer mehr in die Kritik.

Dürre in Indien: Der Klimawandel wird zum Thema. Bild: dpa

Der indische Wirtschaftsmotor läuft derzeit auf vollen Touren - da kommt den Verfechtern der Wachstumsstrategie die Diskussion über verbindliche Emissionsnormen für Treibhausgase sehr ungelegen. Just in dem Augenblick, da Indien ernsthafte Chancen habe, der Armutsfalle endlich zu entgehen, fordere man einen Tribut, der das Land zurückwerfen könnte, heißt es. Das Missfallen ist umso größer, als es die USA sind, die Druck machen: Sie erklären, Emissionskontrollen im Rest der Welt seien nutzlos, solange sich Indien und China nicht festlegten.

Das schürt in Indien den Argwohn, dass es den westlichen Ländern nicht um Umweltschutz, sondern um die Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Vorherrschaft gehe. Indische Regierungsvertreter werden daher nicht müde, das Prinzip der Verantwortung des Verursachers geltend zu machen. Im weltweiten Durchschnitt produziere jeder Mensch rund 4,5 Tonnen CO2 im Jahr. Während die US-Bürger mit rund 24 Tonnen pro Kopf und Jahr weit darüber lägen, kämen die Inder nur auf 1 Tonne. "Jedes Land sollte das Recht haben, seine Produktion (von Treibhausgasen) auf den internationalen Pro-Kopf-Durchschnitt zu heben", sagt der indische Planungschef Montek Singh Ahluwalia, der Premierminister Manmohan Singh nahe steht.

Diese Haltung kommt auch in Indien stärker in die Kritik. Statt der Pro-Kopf-Emissionen, die in einer armen Gesellschaft gering sind, wird der Gesamtverbrauch ins Spiel gebracht. Dieser ist bei einer Milliardenbevölkerung entsprechend hoch, und bei einem Wirtschaftswachstum von über 8 Prozent steigt er dramatisch rasch an. Indien kommt auf 1,1 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr - die weltweit fünfthöchste Produktion.

Auch die simple Gleichung, Drosselung der Emissionen bedeute weniger Wachstum, wird in Frage gestellt. Indien sei eines der Länder mit der schlechtesten Energie-Effizienz, schrieb Vikram Mehta, der Präsident von Shell in Indien, kürzlich im Indian Express. Indien konsumiere für 1.000 Dollar, die das Bruttosozialprodukt wächst, 1,5 Fass Erdöl. In den USA seien es 1,25 und in Europa 0,75 Fass.

Eine Studie des Energy and Resources Institute, die dieses im Auftrag des Wissenschaftsberaters der Regierung durchführte, kam jetzt zum Schluss, dass Indien allein mit Effizienzverbesserungen und neuen Technologien die Emissionen bis 2036 um 30 Prozent senken könne, ohne eine Reduktion im angestrebten Wachstum in Kauf nehmen zu müssen. Die größten Sünder ortet die Studie in der Industrie. Beinahe die Hälfte der Energie gewinnt durch Kohle. Diese ist zwar lokal reichlich vorhanden, aber meist von minderer Qualität, und die meisten Hochöfen sind wenig effizient. Auch bei der Stromverteilung sind große Verbesserungen möglich. Der Stromverlust wegen schlechter Leitungswartung und Diebstahl liegt in Delhi bei 40 Prozent. Auf dem Land wird Strom schlecht genutzt, weil Politiker Millionen von Bauern Gratisstrom für Landwirtschaftspumpen zusichern, was nicht nur zu einer Verschwendung der Ressource Wasser, sondern auch von Elektrizität führt.

Falls in den Basisindustrien Stromerzeugung, Stahl, Aluminium, Zement und Düngemittel verbesserte Technologien eingeführt würden, könnte eine Einsparung erreicht werden, die 583 Millionen Tonnen Erdöl entsprechen, so die Studie. 160 Millionen Tonnen Erdöl-Äquivalent sind es beim Transport, wenn mehr Güter von der Straße auf die Schiene umgeladen werden und die Elektrifizierung des Eisenbahnnetzes vorangetrieben würde. Ähnliche Einsparungen sind im Haushaltssektor möglich, vor allem beim Hausbau. Die Studie weist zudem darauf hin, dass neue Technologien Wachstum fördern.

Im Blick hat die Regierung auch erneuerbare Energien. Gefördert werden sollen Solar- und Windmühlen-Strom, die mit der Wasserkraft im Jahr 2030 ein Viertel des nationalen Energiebedarfs decken könnten. Die Nuklearenergie soll ebenfalls stärker gefördert werden.

Auch bei Biotreibstoffen will das Land vermehrt Ethanol und Biodiesel produzieren. Während die Anbauflächen für Zucker und Ölsaaten begrenzt sind, setzt die Regierung große Hoffnungen auf die Jatropha-Pflanze, die auch auf unfruchtbarem und salinem Land wächst.

Linke Kritiker weisen das Argument von Indiens tiefem Pro-Kopf-Verbrauch noch aus einem anderen Grund zurück. Der Publizist Praful Bidwai nennt es "zynisch und unethisch", weil sich die Eliten hinter dem Rücken der Armen verbergen. Einen Großteil der Emissionen verursachten die 80 bis 100 Millionen Inder der Mittelklasse. "In Bezug auf den Klimawandel gibt es zwei Indien: die 700 Millionen, die keinen Zugang zu modernen Haushaltsstrom und Leitungswasser haben, und die Elite mit ihrem verschwenderischen Luxuskonsum", schrieb Bidwai in der Hindustan Times. Das Symbol eines solchen Konsums lässt sich derzeit in Mumbai bestaunen, wo Mukesh Ambani, der Mehrheitsaktionär des größten Industriekonglomerats Reliance Industries, eine Privatvilla bauen lässt - ein Hochhaus von knapp 200 Metern Höhe, mit zwei Helikopter-Landeplätzen, Garagen für 168 Autos und Unterkünften für hunderte Angestellte.

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