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Archiv-Artikel

Indien – made in Germany

Der „Tiger von Eschnapur“ tröstete Deutsche über ihre kolonialen Verluste hinweg

VON MEENAKSHI SHEDDE UND VINZENZ HEDIGER

Ein europäischer Architekt reist auf Einladung des Maharadschas nach Eschnapur, um einen Schrein zu bauen, der selbst den Tadsch Mahal an Glanz und Pracht übertreffen soll. Doch kein Monument unsterblicher Liebe, ein Denkmal für die Rachsucht soll entstehen, wie der Architekt bei seiner Ankunft in Indien erfährt. Der Maharadscha plant, seine untreue Geliebte bei lebendigem Leib einzusargen. Probleme sonder Zahl stellen sich, ehe der Architekt das Grabmal bauen kann. So verläuft in knapper Form die Handlung eines Drehbuchs von Thea von Harbou und Fritz Lang, das auf einem Roman von Thea von Harbou basiert und 1921, 1938 und 1959 jeweils als Film in zwei Teilen à vier Stunden mit den Titeln „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal“ verfilmt wurde.

Jede Version markiert eine wichtige Phase deutscher Filmgeschichte: Die Fassung von 1921 (Regie: Joe May) steht für das Kino der Weimarer Zeit, die von 1938 (Regie: Richard Eichberg) für den Nazi-Unterhaltungsapparat, während Fritz Langs Version von 1959 die Antwort des krisengeschüttelten Nachkriegskinos auf die Monumentalfilme Hollywoods war. Wie kein anderer populärer Text prägten die drei Filme das deutsche Indienbild des 20. Jahrhunderts, wobei die Version von Fritz Lang, ein Dauerbrenner im Festtags-Fernsehprogramm, den nachhaltigsten Eindruck hinterließ. Letztlich handelt es sich um verspätete koloniale Fantasien einer Nichtkolonialmacht. Die Filme trugen wesentlich dazu bei, koloniale Wunschvorstellungen am Leben zu erhalten, lange nachdem sich das ehemalige Reich aus dem Unternehmen Kolonialismus verabschiedet hatte.

Der Versailler Vertrag zwang Deutschland, die wenigen Besitztümer in West- und Südwestafrika abzutreten, die man sich nach der Entlassung Bismarcks und Wilhelms II. verspätetem Einstieg in die imperiale Geopolitik 1890 hastig zusammengeraubt hatte. Koloniale Fantasien pflegte man dennoch weiter, und sei es nur zur Kompensation des Verlusttraumas, das Deutschland traf, derweil seine Konkurrenten fleißig weiterkolonisierten.

Die Wahl des Schauplatzes Indien ist kein Zufall. Tatsächlich schreiben die drei Tiger-Filme ein spezifisch deutsches Interesse an indischer Philosophie und Kultur fort, das im 19. Jahrhundert aufkam. Sie überführen ein Sehnen und Suchen in den Mainstream der populären Kultur, das bei Goethe und Schopenhauer beginnt.

Der einflussreiche Indologe Max Müller (1823 bis 1900), ein großer Sanskritgelehrter, prägte die Vermittlung indischer Philosophie in Deutschland und England, wo er ab 1850 lehrte. Müller selbst reiste nie nach Indien und verbot auch seinen Studenten, dies zu tun. Das wahre Indien war für ihn das Indien der alten Sanskritschriften, eine verlorene Welt, die nur der Philologe auferstehen lassen konnte.

Ganz in diesem Sinne werden in den drei Tiger-Filmen alle indischen Hauptrollen von Deutschen mit geschwärzten Gesichtern gespielt. Diese Besetzung stellt nicht die Lösung eines praktischen Problems dar; Franz von Osten etwa hatte in seinen Indienfilmen der 1920er-Jahre wie „Das Licht Asiens“ nur mit indischen Darstellern gearbeitet. Vielmehr zeigt sie, wie sehr Indien – oder vielmehr „Indien“ – in den Tiger-Filmen als Projektionsfläche deutscher Fantasien dient.

In anderer Hinsicht allerdings sind diese Fantasien kaum spezifisch deutsch. Vielmehr ziehen sie die geläufigen Register des Orientalismus. In diesem Wissenssystem gilt der Orient gewöhnlich als mysteriös, exotisch und despotisch. Frauen sind stets sexuell verfügbar, Männer sind sexuell bedrohlich.

Alle drei Filme bieten eine reiche Auswahl an Exotika und Erotika. Es wimmelt von märchenhaft reichen Maharadschas mit Palästen, Elefanten, Pferden, Armeen, Bergen von Juwelen, Seepalästen und tiefen, dunklen Tigergruben, in denen man im Vorbeigehen seine Feinde entsorgt. Auch sind die Maharadschas stets lüstern, derweil ihre Königinnen in offenen Palastkammern spärlich bekleidet Affären mit weißen Männern pflegen. Sexualität wird mit Religion und Grausamkeit verquickt. Ganz im Geist der Missionsliteratur des 19. Jahrhunderts, die das Christentum als rationale Universalreligion dem irrationalen Hinduismus gegenüberstellt, lassen die drei Tiger-Filme geile Priester halbnackte Tempeltänzerinnen Schlangenrituale auf Leben und Tod vollführen.

Der Architekt mutiert denn auch zum verkappten Missionar. So baut er in den Versionen von 1938 und 1959 zunächst Spitäler und Schulen, was Missionare aus Deutschland und der Schweiz in Indien auch gern taten, und am Ende rettet er die Tempeltänzerin, ein europäisches Halbblut, aus den Fängen des Maharadschas, als ginge es um die Rettung ihrer Seele (tatsächlich spannt er die Tänzerin dem König aus).

Solcherart ist also der Tigerbalsam, den die drei Eschnapur-Filme auf die wunde deutsche Seele auftragen: Den postkolonialen Phantomschmerz stillen sie mit einer Mischung aus Philosophensehnsucht, orientalistischer Lüsternheit und christlich-missionarischem Bekehrungsfuror. Das Hindi-Kino hat seine Antwort auf die Tiger-Filme schon 1960 gegeben, mit K. Asifs „Mughal-e-Azam“, einem zu wenig bekannten Klassiker des Weltkinos. In der Tiger-Trilogie verliebt sich ein Maharadscha in eine Tänzerin und provoziert damit eine politische Krise am Hof. In Asifs Film, der fünfzehn Jahre in der Produktion war, verliebt sich der Sohn des Moguls in Anarkali, eine Tänzerin, zieht so den Zorn seines Vaters auf sich und provoziert einen Bürgerkrieg.

Asif und Lang kannten einander nicht. Beide Filme zu sehen, eröffnet jedoch eine neue Sicht auf Langs Version. Die Rivalität des Architekten mit dem Maharadscha um die Liebe der Tänzerin wirkt wie ein eifersüchtiger, deutscher Versuch, sich in eine Geschichte einzuschreiben, die man zur eigenen machen will. Die deutschen Philosophen und Indologen des 19. Jahrhunderts verstanden indische Kultur nicht als etwas Fremdes und Anderes, sondern als eine der verborgenen Quellen ihrer eigenen Kultur. Fritz Langs Architekt tritt mit seinem Versuch, sich einen Plot zu eigen zu machen, der letztlich doch ein indischer ist, in die Fußstapfen von Müller und Konsorten. Noch im Jahr 1959 ging es in Filmen, die Indien für die Leinwand neu erfanden, eher um die Erfindung Deutschlands als um die Erfindung eines wie auch immer imaginierten Indiens.

MEENAKSHI SHEDDE lebt in Bombay und ist Filmkritikerin und Filmemacherin. Sie schreibt u. a. für Cahiers du Cinema, Sight and Sound und Times of India. Sie ist Beraterin für indisches Kino bei den Festivals von Cannes, Berlin und Venedig VINZENZ HEDIGER, Jahrgang 1969, ist Professor für Film- und Medienwissenschaft in Bochum. Von ihm erschien zuletzt „Demnächst in Ihrem Kino“ (Marburg, Schüren 2005), ein Sammelband über Tarnung, Übertreibung und andere Kulturtechniken der Filmwerbung Am Freitag, 12. August, um 20 Uhr sprechen die Autoren im Rahmen von „Import Export“ (siehe Seite 3) über das „Erbe von Eschnapur“