Indianer filmen, um zu überleben

■ Ulla Rapp leitet die Reihe „Independent-Films“ auf dem „Münchner Filmfest“/ In diesem Jahr schuf sie indianischen Filmemachern ein Forum

taz: In diesem Jahr gab es zum ersten Mal auf einem großen europäischen Festival ein Forum mit Filmen von und über Indianer. Wie kam es zu der Reihe?

Ulla Rapp: Auf Robert Redfords Sundance-Festival kam die Idee auf, eine Reihe zum Thema Indianer zu machen. Robert Redford ist ja als ein Förderer der indianischen Sache bekannt. Dazu muß man kritisch anmerken, daß er zwar fördern will, es aber bei den Dreharbeiten in der Reservation zu Mißstimmungen kam. Bei Produktionen wie „Dark Wind“ haben die weißen Filmteams die Indianer nicht sehr gut behandelt. Deshalb war es wichtig, außer den Filmen zum Thema auch Filme von Indianern zu zeigen. Wir haben 18 Filme von Regisseuren aus zehn verschiedenen Nationen im Programm gehabt — von den Hopi und Navajo im Südwesten bis hinauf zu den Inuit in der kanadischen Arktis. Das war unser kritischer Beitrag zum Columbus-Jahr: Ein Porträt Amerikas aus indianischer Sicht.

Fast alle Filme waren auf Video gedreht.

Sie haben auf Video gedreht, weil es das Billigste ist. Nur zwei Beiträge waren auf Film: die der Frauen.

In der Medienberichterstattung über das „Münchner Filmfest“ hatte man den Eindruck, daß indianische Filme ausschließlich von Männern gemacht werden. Stimmt das?

Nein, im Gegenteil. Der Film ist nicht reine Männersache, wie das in Hollywood früher üblich war. Wir haben Programme von mehreren Frauen, von Sandy Osawa, Arlene Bowman und Kathryn Bell, gezeigt. Alanis Obomsawin, die „Incident at Restiguche“ gemacht hat, ist eine der bekanntesten indianischen Filmemacherinnen. Doch die deutsche Presse hat sich mehr auf die Männer gestürzt.

Was waren die Themen dieser Filme?

Die Themen waren soweit gesteckt wie die Entfernungen. Es reichte von einer persönlichen Identitätssuche als Navajo-Frau und als Regisseurin wie bei Arlene Bowman bis hin zur Aufarbeitung von historischen Vorfällen. In „Wiping the Tears of Seven Generations“ wird ein Memorial-Ritt gezeigt, der nicht nur an die Vergangenheit erinnern, sondern auch den nächsten Generationen Mut machen soll. Als Künstler ganz wichtig ist Victor Masayesva. Er setzt die indianische Kunst und Mythologie auf moderne Medien um. Auch Probleme wie Alkoholismus, Drogen und Jugendkriminalität wurden hier thematisiert.

Was unterscheidet die Filme, die von Indianern gemacht werden, von denen, die über Indianer gemacht werden?

„Dark Wind“ und „Incident at Oglala“ sind beide von Robert Redford produziert und von Weißen gedreht. Dies sind größere Spielfilme, mit sehr viel mehr Geld gemacht. Die Indianerfilme sind bis jetzt reine Dokumentationen. Die Sichtweise ist eine andere. Wenn die Weißen Dokumentationen über Indianer machen, sind die immer etwas larmoyant und bedauernd. Die indianischen Regisseure dagegen sind sehr selbstbewußt. Sie arbeiten mit dem Selbstverständnis: „Unser Überleben ist euer Überleben.“

Liegt im Medium Fernsehen für die Indianer eine neue Chance?

Die Kernsache ist, daß bei den Indianern die mündliche Überlieferung das Medium ist. Jetzt haben sie durch Video, Film und Fernsehen die Möglichkeit, den nächsten Generationen ihre Traditionen zu vermitteln.

Wie sieht in ihrem Heimatland die Produktionssituation für die „Native Filmmaker“ aus?

Das ist ein großes Problem. Die Indianer finden kein Gehör in den USA. Zum Beispiel lief dort ein ähnliches Festival wie bei uns. Im Gegensatz zu hier gab es in den USA sehr wenig Resonanz. Sie haben es sehr schwer, sich durchzusetzen. Dennoch sind sie nicht mutlos. Deshalb wollen sie immer mehr eigene Fernsehstationen haben.

Sind die Filme cineastisch weniger interessant, wie es zum Teil in der Presse zu lesen war?

Sie haben einen einen anderen Blickwinkel, einen anderen Rhythmus, eine andere Kraft. Wer sich darauf einläßt, wird sehr belohnt.

Wie werden die Filme in den USA aufgenommen?

Sie haben es dort schwerer. Doch auch wenn die Filme am Anfang totgeschwiegen werden, landen sie am Ende doch alle bei den Public Broadcasting Stations. Die Filme, die gut sind, setzen sich durch, aber es ist ein harter Kampf. Amerika behandelt sein Indianerproblem nicht. Das ist die große Wunde, an die nicht gerührt wird.

Können die Filme denn in der Konkurrenz bestehen, oder gibt es nur wenige Ausnahmen?

Die Dokumentationen können durchaus bestehen. Jetzt bereitet George Burdeau — sein Film „Surviving Columbus“ hat der Reihe den Titel gegeben — gerade seinen ersten Spielfilm vor. Das wird der erste Spielfilm sein, der von einem Indianer gedreht wurde.

Wie steht es mit dem Interesse der Fernsehanstalten?

Drüben sind alle in den Public Broadcasting Stations gelaufen. Wir hoffen, daß die Filme hier auch eine Plattform finden, daß sie in Europa gekauft werden. Channel Four, BBC und eine Schweizer Fernsehstation haben Interesse bekundet. Mit dem Argument, man hätte das alles schon einmal in ähnlicher Form gesehen, wurde der Ankauf innerhalb der ARD bisher abgelehnt. Das ZDF bereitet ein Langzeitprojekt mit indianischen Themen vor. Wir hoffen, daß sich noch einige bei deutschen Fernsehstationen durchsetzen.

Kann man schon sagen, wann es die Filme wieder zu sehen gibt?

Ein Berliner Kino hat Interesse, die ganze Reihe im Herbst zu übernehmen. Interview: Sabine Jaspers