In seiner Inszenierung „Die Bakchen“ auf Kampnagel setzt der Regisseur Andreas Bode auf antike Sprachgewalt : Die Rückkehr des Ziegenbocks
„Ihr stand der Schaum am Munde, und ihr verdrehter Blick war stier; sie hatte kein Bewußtsein, wie‘s gebührt, besessen vom Verzückungsgott: Sie hörte nicht! Mit ihren Armen packt sie seine linke Hand, den Fuß in seine Rippen eingestemmt, und reißt die Schulter aus dem Arme.“ So grausam lässt der antike Dichter Euripides in seinem Stück Die Bakchen die wild gewordene Agaue über ihren eigenen Sohn Pentheus herfallen und ihn zerstückeln.
Der Hamburger Regisseur Andreas Bode bleibt mit seiner Inszenierung der Bakchen auf Kampnagel im Rahmen des Themenfestivals „Eat it“ ganz nah an diesem „schweren Klotz von Text“. Bode ist fasziniert von Euripides‘ Sprachgewalt. Er setzt deshalb auf diese „Droge“, die ebenso direkten wie brutalen Worte, ihren Rhythmus. Er inszeniert Die Bakchen als monströses Sprechtheater. Doch er will sich nicht nur an der Sprache, sondern auch an der Form des antiken Theaters abarbeiten. Deshalb positioniert er seine Zuschauer auf einer Tribüne im Bühnenraum mitten im Geschehen. „Das ist die konstruierte Welt des Pentheus“, sagt Bode.
Pentheus, der Herrscher von Theben, steht für die frühe Hochzivilisation, für das Prinzip der Vernunft. In sein Reich bricht Dionysos ein, der Halbgott, das verdrängte Prinzip der Lust, der Natur. Das gibt böses Blut. Denn Dionysos will den Mord an seiner sterblichen Mutter Semele rächen und macht die Frauen Thebens mit seinem Zauber zu den fuchsteufelswilden „Bakchen“. In diesem Rausch schlachten sie den Pentheus ab. „Der Dionysos-Kult unterwandert die zivilisatorische Kraft des Pentheus“, sagt Bode. „Wenn der Mensch nicht zu seiner Einheit findet, wenn er nicht Natur und Vernunft in sich selbst in Einklang bringt, dann schlägt die Natur ungeheuerlich zurück“. Dies ist für Bode die Kernthese der Bakchen.
Und obwohl sich bei der Vorstellung von der Zerstückelung des Pentheus die Bilder der Folterungen im Irak aufdrängen, will Bode keine aktuellen Bezüge herstellen. Vor allem sträubt er sich gegen einen Diskurs, der sofort moralisch einordnet. „Es geht immer nur darum: Ist es gut oder schlecht, was die USA im Irak tun? Das ist zu eng gedacht. Das Tolle an Euripides‘ Stück ist: Als Produkt des Beginns unserer Zivilisation kennt es die Kategorien gut und böse nicht.“
So lässt Bode Pentheus in sein Verderben rennen, ohne über dessen Mutter und Mörderin Agaune zu richten. Es interessiert ihn auch nicht, ob Dionysos ein Recht dazu hat, seine Rachegelüste auszuleben: „Es gibt da kein Konfliktmanagement, nichts ist geglättet“. „Die Handlung steuert hart durch den Konflikt hindurch, der Zuschauer erlebt das direkt mit, und das hat etwas Reinigendes.“
Doch nicht deswegen soll auf der Bühne eine Wanne voller Wasser stehen, sondern weil Dionysos der Gott der Flüssigkeiten ist. Dampfen soll‘s daraus, und so funktioniert die Wanne dann auch als Grabmal von Dionysos‘ Mutter Semele.
Und wo Dionysos wirkt, da ist der Ziegenbock – in der antiken Mythologie eine der Erscheinungsformen des Gottes – nicht weit. Den hat Bode aus Heide in Schleswig-Holstein auf seine Bühne geholt. Das Tier bekommt seinen Platz in dem kleinen Bühnenraum hinter der Zuschauertribüne. In „voyeuristischer Übertragung“ beamt ein Videogerät dessen Bild auf eine Leinwand im vorderen Bühnenraum. Dieser medial vermittelte Kontakt zu dem Tier steht für die Entfremdung des modernen Menschen von seinem eigenen Tiersein. Katrin Jäger
Premiere: heute, 20 Uhr, Kampnagel