: In schwesterlicher Einfühlung
Else Lasker-Schüler zum Verschenken ■ Von Andrea Krauß
Der Artemis & Winkler-Verlag beschert den LeserInnen eine „repräsentative Auswahl aus den Werken Else Lasker-Schülers“. Repräsentativ ist in der Tat die Aufmachung: wahlweise in goldfarben beschriftetem Leinen oder edlem Leder. Verantwortlich für Textauswahl, Kommentar und Nachwort ist die Herausgeberin Sigrid Bauschinger, Verfasserin der wohl bislang umfangreichsten Monographie über Else Lasker-Schüler und ihr Werk. Der Edition zugrunde gelegt ist die 1959 bis 1962 erschienene dreibändige Werkausgabe des Kösel-Verlags.
Wäre schon zu dieser Ausgabe einiges anzumerken, was das Fehlen textkritischer Editionsprinzipien betrifft, so werden solcherlei Fragen für Sigrid Bauschinger absolet. Dem Grundsatz der Zerstückelung folgend, sucht sie sich willkürlich aus Lyrik, Prosa und Dramatik das „Repräsentative“ zusammen. Ohne Erläuterung der Auswahlkriterien, werden diese doch deutlich beim Lesen von Nachwort und Kommentar: Hier nämlich weiß die Herausgeberin, was von Else Lasker-Schüler und ihren Texten zu halten ist. Ja, beides ist eigentlich nur eins. Denn jene feine Differenz zwischen dem Leben der Autorin und ihren Texten verschwindet im selbstgewissen Strom biographischer Lektüren.
Doch schon Else Lasker-Schülers Biographie birgt so ihre Tücken, über ihr Leben ließe sich nämlich guten Gewissens nicht mehr sagen als die nackten Tatsachen der von Bauschinger aufgelisteten Zeittafel. Alles weitere wäre Anekdote, die das für bare Münze nimmt, was Else Lasker-Schüler im endlosen Spiel literarischer Maskerade erzählt. Über ihre Kindheit zum Beispiel. Darüber schrieb sie viel, und weil Dichtung ganz bruchlos als Beweis für das Leben herhalten kann, folgert Bauschinger apodiktisch: „Alle Motive in den Dichtungen Else Lasker- Schülers haben ihre Wurzeln in der Kindheit.“ Auch noch ein bißchen Judentum, das „trotz aller Orientalismen deutsches, innigst heimatverbundenes rheinisch-westfälisches Judentum“ war. Es artikuliert sich ein Doppeltes: Noch jenseits der Frage, was „Judentum“ (als offenbar gegebene Größe) denn hier bedeuten könnte, ist zuallererst dessen Bestimmung als deutsch notwendig. Als ob die Identifizierung von Judentum und Orient doch insgeheim erfolgte und die Unterscheidung als Besonderheit erforderlich macht. Vielleicht ist „deutsches Judentum“ keine Selbstverständlichkeit und daher erwähnenswert. Oder vielleicht wäre das „Deutsche“ aufwertendes Moment eines anstößigen Faktums?
Mit diesem nationalen Definitionsversuch formuliert sich aber auch ein Anspruch und vergegenwärtigt das bekannte Diktum Gottfried Benns: Else Lasker-Schüler ist „die größte Dichterin, die Deutschland je hatte“. Reklamiert wird Else Lasker- Schüler als Besitz der deutschen Kultur — das heißt jener Kultur, die die „innig Heimatverbundene“ 1933 ins Exil zwang. Doch davon ist bei Benn keine Rede. Nicht vom Judentum und auch nicht von Else Lasker- Schülers Geschichte der Vertreibung.
Vertraute und vertrauliche Nähe bezeichnet wohl am treffendsten den bestimmenden Eindruck bei der Lektüre des Nachwortes. Im Stile eines Psychogramms räsonniert Bauschinger über Else Lasker-Schülers „Natur“ oder etwa über ihren „eingeborenen künstlerischen Instinkt“, um sowohl Autorin wie deren Texte in ihr gnadenlos konsistentes Konzept einer „Kunst aus Widerständen“ hineinzuzwingen. Kunst als Folge lebensgeschichtlich motivierter Widerstände, aber nicht: Kunst als sprachlich widerständiges Phänomen. Heterogenes gerät so gar nicht erst in den Blick — ein Prinzip, das auch die Textauswahl bestimmt.
Aus den zu Lebzeiten Else Lasker-Schülers publizierten Gedichtsammlungen werden in erster Linie jene Texte berücksichtigt, die das sattsam bekannte Bild der Autorin als Dichterin von Liebe, Heimat, religiöser Versöhnung, Einsamkeit... reproduzieren — gleichsam als Substrat dessen, was die Autorin ist und in repräsentationslogischem Kurzschluß ihre Texte offenbaren. Gleiches gilt für die Zusammenstellung der Prosatexte. Noch ergänzt um eine Auswahl literarischer Porträts jener Protagonisten der zeitgenössischen Künstlerprominenz, die den Geschichtskreis der Autorin weiteten, so ganz nach der teleologischen Prämisse dichterischer Vervollkommnung. Vom Dramatischen bleibt nur die Wupper. Im „magischen Realismus“ bestätigt das bekannteste und meistgespielte Stück die „tiefe Verbundenheit zur Heimat“ — also darf es rein, und also muß IchundIch raus, denn dieses Stück bestätigt offenbar nichts. Zwar ist es nach Bauschinger „in vieler Hinsicht Else Lasker-Schülers außerordentlichstes Werk“, ja geradezu „genial“, doch es bleibt insofern Fragment, „als es nicht mehr gründlich überarbeitet wurde, wie es die Verfasserin beabsichtigte“. Was sich hier als gesichertes Wissen präsentiert, ist dies keineswegs. Immerhin organisierte Else Lasker-Schüler Lesungen aus diesem Stück, und immerhin bemühte sie sich (vergeblich) um dessen Publikation. Irritierende Fragen, die nicht gestellt werden. So irritierend wie der Dramentext selbst, dessen sprachliche Verfahren sinnfällige Identifikationen durchkreuzen, die sich sperren gegen literaturwissenschaftliche Phantasmen vom geglückten „Versöhnungsakt“. So manifestiert sich im Vorwurf des Fragmentarischen — in der Folge als Ausschlußkriterium funktionalisiert — eher die Abwehr der heillos verwirrten Literaturkritik, die im scheiternden Rekurs auf gewohnte Verfahren an die Unzulänglichkeit ihrer Lektüren erinnert wird.
Ein Letztes zu den Anmerkungen. Den hier gebotenen sachkundigen Kommentar ersetzt Sigrid Bauschinger durch eine merkwürdige Amalgamierung von überbordender Informationsflut und Werkinterpretation in schwesterlicher Einfühlung. Wie schon im Nachwort fungiert der Name „Else Lasker-Schüler“ als Lektüreanweisung, vor allem Text steht streng positivistisch die Autorin (und ihre Legende). Anstelle einer Lektüre, die Else Lasker-Schülers Texten ihre nicht reduzierbare Fremdheit beläßt, erfolgt der vereinnahmende, alle Differenzen nivellierende Zugriff. Im unvermeidlichen Spiel von Blindness and Insight dominiert ersteres im Dienste eines a priori gesetzten Sinnkonzepts und schreibt nicht mehr als ein Lehrstück über die funktionierende Tradition literaturwissenschaftlicher Wissensbestände.
Wer aber die Texte Else Lasker- Schülers lesen will ohne mundgerechte Zubereitung, sollte sein Geld sinnvoller verwenden. Etwa für die bei dtv erschienene Ausgabe der Gesammelten Werke (die erschwingliche Variante der im Kösel-Verlag erschienenen Edition als Paperback) und hätte über die textkritischen Mängel hinwegzusehen. Im Preis vergleichbar, ist sie den von Bauschinger ausgewählten Werken noch immer vorzuziehen, dokumentieren diese doch auch, daß die hübsche Geschenkausgabe Konjunktur hat. Noch vor jedervollständigen historisch-kritischen Edition (die erst jetzt, fast fünfzig Jahre nach dem Tod der Autorin, in Wuppertal geplant wird) stehen die augewählten Werke — wie wenn die Texte Else Lasker- Schülers nicht gelesen werden müßten, nicht in ihrer Vollständigkeit und nicht adäquat kommentiert. Wie wenn die Lektüre ihrer Texte die (literaturwissenschaftliche) Fortschreibung der Legende zum Problem werden ließe.
Else Lasker-Schüler: Werke. Lyrik, Prosa, Dramatisches , herausgegeben und mit Nachwort und Kommentar versehen von Sigrid Bauschinger, Artemis & Winkler, 526 Seiten, Leinen 78 DM
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