In eigener Sache: Das Auge der Arbeitswelt
Ein Kerl wie ein Baum und dennochunsichtbar. Kontext-Fotograf Joachim E.Röttgers hat außergewöhnliche Bilder gemacht, die Menschen zeigen,wie sie sind — und seine Leidenschaftwiderspiegeln. Nun geht er mit 70 in den Ruhestand.

Von Josef-Otto Freudenreich
Es gibt da eine Gemeinsamkeit, die uns von Anfang an verbunden hat. Es ist das Handwerk. Alte Schule. Kein Schnickschnack, keine Schönfärberei, viel Leidenschaft. Angefangen hat er bei der „Sindelfinger Zeitung“, danach ab nach Hamburg, den Meister gemacht, selbstständig geworden mit der Agentur „Graffiti“, und schließlich Kontext. So einer weiß, wie fotografieren geht.
Joe nennt sich einen „Knipser“, um klarzustellen, dass er kein Kunstfotograf und kein Lichtbildner ist, der die Welt anders aussehen lässt, als sie ist. Das alte Augstein-Motto („Sagen, was ist“) könnte für den „Knipser“ heißen: Fotografieren, wie’s ist. Und dann ist gut. Also bloß kein Gewese machen um den Job, um sich selbst und die Bilder. Was zählt, ist die Information, nicht die Inszenierung.
Als Gegenbeispiel kommt einem Konrad R. Müller in den Sinn, der verstorbene Kanzlerfotograf. Er hat von Adenauer bis Merkel alle vor der Linse gehabt. Besonders stolz aber war er auf Putin, den er hoch zu Ross mit nacktem Oberkörper abgelichtet hat. Das Bild ging um die Welt. Am Morgen zuvor, erzählte er mir einmal, hätte ihm Putin noch das Frühstücksbrötchen mit Kaviar geschmiert.
Das wäre Joe nicht passiert. Heroisierung war ihm so fremd wie das Bemühen der Helden, dazu die nötigen Vorlagen zu liefern. Selbige zu entlarven war ihm deshalb eine große Freude, die sich in lautem Glucksen am Rechner entladen konnte, wenn ihm ein besonders trefflicher Schuss gelungen war. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) war häufig vertreten.
Joe hat es eher mit den kleinen Leuten gehalten. Paul Schobel, der linke katholische Betriebsseelsorger („Kapitalismus ist Sünde“), war so einer, der keine Pose brauchte, wenn er gegen die Gier der Reichen wetterte. Schobels Kundschaft gehörte dazu, die Malocher in der Metallindustrie, die Arbeiter am letzten Tag in der Heidenheimer Gießerei, die Helferinnen und Helfer in der Tafel, der LKW-Fahrer aus Litauen. Sie alle hat Joe in ihrer alltäglichen Umgebung gezeigt, was schon schwer genug ist wegen der verschlossenen Türen. Betriebsgelände betreten verboten, heißt es in der Regel. Der „Knipser“ will sie nicht vorführen vor einer künstlichen Kulisse, er will sie als Subjekte erkennbar machen in der Öffentlichkeit, die sie sonst nicht wahrnimmt. Diese Bilder gehen als der Röttgersche Beitrag zu einer gerechteren Welt durch.
Wir könnten ihm den Titel „Auge der Arbeitswelt“ verleihen, und er hätte ihn wahrlich verdient. Wie viele Streiks hat er fotografiert, wie viele Tarifrunden, wie viel Demonstrationen? Er wird es selbst nicht wissen, weil die roten Fahnen und Trillerpfeifen zu viele wurden, um auseinander gehalten werden zu können. Im Gedächtnis bleiben die außergewöhnlichen Ereignisse.
Unser Joe geht als ganz Großer durch
Roman Zitzelsberger, der empfindsame Bezirksleiter der IG Metall, beispielsweise. Das Bild aus seinem Büro hat Joe ziemlich Ärger eingebracht: Der Gewerkschaftsboss sitzt am Schreibtisch und hinter ihm an der Wand prangt ein Stier in Öl, dessen Hörner Zitzelsberger aus dem Kopf zu wachsen scheinen. Von da an waren Röttgers-Fotos im Hause Z. unerwünscht. Gotteslästerung bei der Gewerkschaft? Nicht doch! Auch das war und ist ein Teil der Arbeitswelt.
Für Kontext war der Mann mit der Schiebermütze ein Glücksgriff und umgekehrt. Wir hatten von Anfang an einen Profi mit Herz, und er ein Projekt, das ihm die Chance eröffnete, noch einmal zu zeigen, was es heißt, ein vorzüglicher Fotograf zu sein. Insoweit war es auch nur folgerichtig, dass er zum Fünfjährigen seine Ausstellung im Theaterhaus („Best of Kontext“) bekam, präsentiert von der ehemaligen Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, die extra aus Washington angereist war. Seine Gemütslage dürfte damals zwischen Stolz und der Sehnsucht nach Backstage geschwankt haben.
Hans-Ulrich Grimm, mit dem er viele Jahre für den „Spiegel“ durch die Lande gezogen ist, hat ihn, den „Menschenknipser“, unter die „ganz Großen“ eingeordnet, wobei er neben der Körperlänge (1,96 Meter) auch das „höchst soziale Wesen“ zu schätzen wusste. Das eine wegen seiner Beschützerfunktion in gewaltaffinen Situationen, das andere wegen seiner Fähigkeit, sich unsichtbar und die anderen sichtbar zu machen.
Weniger professionell betrachtet, könnte man auch noch darauf verweisen, dass das kleinste unter den vier Geschwistern stets bereit war, seine Apfelschnitze aus der Tupperdose mit der Redaktion zu teilen.
Es war die Zeit des Umbruchs in der Branche. Die opulente Bild-Optik in den Magazinen ging mit den Nullerjahren zu Ende. Zu teuer. Jetzt war der billige Schnappschuss gefragt, das schnelle Handybild, und Kontext wollte die Fotografie von früher haben. Joachim E. Röttgers, zu Beginn noch zusammen mit Martin Storz (der bis heute die Grohmann-Kolumne produziert), freute sich über die Möglichkeit, wieder sein Handwerk ausüben zu können. Das war vor 13 Jahren.
Jetzt ist er 70 geworden – Zeit, den Jungen, Jens Volle und Julian Rettig, Platz zu machen. Auch dafür hat er noch gesorgt. Er hat sie zu Kontext geholt, weil sie ihm in ihrer Arbeit ähneln, weil er das als Teil seines Engagements für die Berufsgruppe „FreeLens“ und Vermächtnis für Kontext ansah. Aber keine Bange, ein richtiger Fotograf hört nie auf zu knipsen.
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