■ In der SPD bahnt sich ein Ost-West-Konflikt an: Jenseits der Hysterie
Ist Ringstorff der neue Recke von der Waterkant oder doch nur aus Pappmaché gefertigt? Was soll man von der Vier-Punkte-Erklärung „Notwendige Klarstellungen“ halten, die die Mecklenburger SPD ihren Gesprächspartnern von der PDS präsentierte? Und die Gespräche zwischen Stolpe und Bisky gestern, zwischen Höppner und Frau Sitte (vielleicht) übermorgen – fügen sich die einzelnen Morsezeichen zu einer Botschaft? Welcher?
Die „notwendigen Klarstellungen“ klarzustellen dürfte der PDS nicht allzu schwer fallen. Daß Kautsky gegen Lenin in Sachen „Demokratie und Sozialismus“ recht behalten hat, es hat sich in der PDS herumgesprochen. Kein Problem also beim Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat. Zwangsvereinigung KPD–SPD? Gysi hat sich schon entschuldigt. Die „Kommunistische Plattform“? Wird austreten oder absterben. Falls das Vier-Punkte-Papier als elegantes Abgrenzungsmanöver gedacht war, ist es fehlgeschlagen. Als Einladung zum Tanz liest es sich dagegen nicht übel.
Nach Stolpes Audienz für Bisky werden die Konturen des Problems deutlich, das sich die SPD eingefangen hat, als sie 1990 dem Kadertransfer von der PDS/ SED zur Sozialdemokratie einen Riegel vorschob und damit erst die Konsolidierung der Postkommunisten ermöglichte. Stolpe braucht die PDS weder als Koalitionär noch als Dulder. Deshalb hat seine Polemik gegen „hysterische Positionen“ von Leuten in Bonn, „die bis heute nicht die ostdeutschen Gepflogenheiten im Umgang miteinander begriffen haben“, um so mehr Gewicht. So wie es aussieht, bahnt sich mit Blick auf die PDS in der SPD ein Ost-West-Konflikt an, in dem Differenzen über die richtige Taktik immer stärker vom Gegensatz der Mentalitäten überlagert werden. Konflikte aus dieser Quelle aber werden mit politischen Mitteln kaum noch lösbar sein.
Wenn man es nicht bei den von Stolpe gegeißelten „Ausgrenzungsattacken“ bewenden lassen will, sind einige Klarstellungen nötig. Nicht bei der PDS, sondern durch die Führung der SPD. Hofft man, die Anhänger der PDS zu gewinnen und gleichzeitig die Partei in die Bedeutungslosigkeit zu drücken – also „Aktionseinheit von unten“? Oder hofft man auf künftige Demokratisierungsprozesse, eventuell auf die Spaltung zwischen Erneuerern und Konservativen, also abwarten beziehungsweise selektive Aktionseinheit, mal „von oben“, mal „von unten“? Oder glaubt man, dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß man die PDS möglichst bald an Landesregierungen beteiligt, also „Aktionseinheit von oben“? Oder gibt es doch einen Königsweg? Viel Zeit bleibt der SPD nicht, ihn zu entdecken.
Christian Semler
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