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■ In den Vereinigten Staaten haben die Republikaner mit ihrer drastischen Anti-Staats-Kampagne überzogenRückkehr zur Wirklichkeit

„It's the economy, stupid!“ soll sich Bill Clinton während seiner Präsidentschaftskampagne 1992 auf einen Merkzettel geschrieben haben: „Die Wirtschaft, Blödmann!“ Jüngst zeigte eine Karikatur Clinton mit einem neuen Zettel für den kommenden Präsidentschaftsmarathon: „It's the values, stupid!“ – Die Werte, Blödmann!

Gemeint war: Um bei der Wahl von 1996 zu gewinnen, muß ein Präsidentschaftsaspirant in den Vereinigten Staaten vor allem moralische Kompetenz vorweisen. Er – es ist immer ein Er – muß für das starke und moralisch wie finanziell autonome Individuum eintreten, für die Schrumpfung des Staates und für die Rückkehr der zersplitterten amerikanischen Gesellschaft zum sicheren Hafen der Familie und des soliden Unternehmergeistes. Kurz: Er soll zumindest rhetorisch das Programm der „konservativen Revolution“ anerkennen, mit dem Newt Gingrich und seine Republikaner 1994 einen durschlagenden Sieg bei den Kongreßwahlen errangen.

Die Krise Amerikas ist in diesem Weltbild vor allem eine Kulturkrise, und die Aufgabe einer Regierung besteht in der Vermittlung traditioneller Werte – eine Vermittlung, die vor allem mit ökonomischen Anreizen arbeitet: Gib der Sozialhilfeempfängerin nichts, und sie wird sich schon aufraffen und Arbeit finden.

Je näher der Präsidentschaftswahlkampf rückt, desto deutlicher erweist sich aber, daß dieses Programm keinen neuen Kulturkonsens darstellt, sondern nichts weiter ist als eben ein Programm, gegen das andere Politiker andere Programme stellen können. Die jüngste Auseinandersetzung um den US-Staatshaushalt und die Beinahepleite der Bundesregierung zeigte dies: Der republikanisch beherrschte Kongreß bestand auf der Quadratur des Kreises, gleichzeitig die Steuern zu senken, die Sozialausgaben zu kürzen, die Unternehmersubventionen zu bewahren und den Haushalt auszugleichen. Präsident Clinton wehrte sich dagegen. Und er trifft damit offensichtlich den Nerv der Bevölkerung.

In einem Kontext schrumpfender Reallöhne und sinkender Beschäftigungssicherheit, in dem Armut für Millionen normale Arbeitnehmer weniger ein Motiv aus dem Fotoalbum der Großeltern denn eine durchaus mögliche Zukunftsperspektive darstellt, ist der Abbau des rudimentären Wohlfahrtsnetzes der USA für viele Menschen keine Befreiung, sondern eine Bedrohung. Die US-Republikaner haben mit ihrer ideologisch begründeten Kampagne gegen Sozialausgaben verkannt, daß „Wert“ nicht nur ein moralischer Begriff ist, sondern auch ein ökonomischer. Das freie autonome Individuum möchte schließlich nicht nur philosophische Wertschätzung erfahren, sondern auch finanzielle. Und zum amerikanischen Traum gehört nicht nur das Recht auf Selbstentfaltung, sondern auch eine fundamentale Gewißheit, niemals in einer Gesellschaft zu leben, in der die Aufstiegschancen versperrt sind.

Schon die konservativen Revolutionäre Großbritanniens um Margaret Thatcher in den 80ern Jahre begingen den Fehler, auf dem Höhepunkt ihrer Erfolge plötzlich ihre geheimsten Sozialentwürfe auf einen Schlag realisieren zu wollen. Sie fuhren einmal einen gigantischen Haushaltsüberschuß von 60 Milliarden Mark ein – und träumten sogleich von der Tilgung aller Staatsschulden bis zur Jahrtausendwende. Sie entwarfen das pharaonische Projekt einer flachen Kopfsteuer, die für den ärmsten wie den reichsten Bewohner einer Gemeinde genau gleich hoch sein sollte. Sie hielten für strikte Fairneß, was eine Volksrevolte als schlimmste Art der Ungerechtigkeit attackierte und schließlich zu Fall brachte. Über die „Poll Tax“ stürzte Thatcher und heute sind die britischen Konservativen ideologisch nackt und politisch verbraucht.

Einige republikanische Politiker in den USA, darunter mehrere Präsidentschaftskandidaten, begehen heute ähnliche Fehler. Sie träumen vom Verbot des Haushaltsdefizites, fordern die Abschaffung der progressiven Besteuerung und wünschen sich Steuererklärungen, die auf eine Postkarte passen. Mit den Problemen normaler Menschen hat das wenig zu tun, und zur Heilung des Bruchs zwischen Arm und Reich, der sich immer mehr von einer sozialen Spaltung zu einer ethnischen und geographischen Segregation entwickelt, trägt es auch nichts bei. Es kommt nur denen entgegen, die sich auf der richtigen Seite des sozialen Grabens eingerichtet haben und die gewillt sind, ihren Platz auch mit Waffen zu verteidigen. Ihr Gegner ist die, wie es Newt Gingrich jüngst wieder ausdrückte, „drogenabhängige Unterklasse ohne Sinn für Menschlichkeit und Zivilisation“, die nach der konservativen Ideologie vom Wohlfahrtsstaat erst großgezogen worden ist. Das zugrundeliegende Weltbild befindet sich auf dem gesellschaftlichen Niveau der Dritten Welt, mit dem Unterschied, daß die Reichen keine verschwindend kleine Minderheit sind, sondern vielleicht sogar zahlreicher als die Armen.

Zum Zusammenhalt dieser antangonistischen Welten genügt Politikern wie Newt Gingrich die virtuelle Realität des Internets und der Datenautobahnen, die er für den Kitt der Gesellschaft im 21. Jahrhunderts hält. Das ist zugleich eine Zukunftsvision der vollendeten sozialen Atomisierung. Damit beißt sich der ursprüngliche moralische Impuls in den Schwanz. Statt Entfaltung regiert Einigelung.

Zu einem Wahlsieg genügt das nicht. Gingrichs Tirade gegen die „drogenabhängige Unterklasse“ ging nach hinten los. Am laufenden langen Thanksgiving-Wochenende beherrscht der Niedergang des Republikanerführers die nationale US-Presse, und der Sprecher des Weißen Hauses, Mike MacCurry, nannte Gingrich genüßlich einen „Soziologen“, was derzeit in den Vereinigten Staaten eher ein Schimpfwort ist. Es ist legitim und zukunftsträchtig für Präsident Clinton, wenn er sich der konservativen Vision widersetzt. Das Tauziehen um den Haushalt hat eine Alternative zum abschüssigen Weg der moralischen Werte aufgezeigt: Nämlich das Beharren darauf, daß der Staat über Sozialausgaben und Investitionen in Bildung und Infrastruktur eine gesellschaftliche Funktion zu erfüllen hat. Es geht ja nicht nur um einen ausgeglichenen Staatshaushalt – den will Clinton mittlerweile auch –, sondern darum, wofür der Staat sein Geld ausgibt. Wirtschaftliche Probleme lassen sich nun einmal nicht philosophisch lösen. Falls er seinen Zettel von 1992 noch nicht weggeworfen hat – jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, daß Clinton ihn wieder hervorkramt. Dominic Johnson

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