kuckense ma: auf Bremens Leinwand : In den Amtstuben der Ewigkeit: „After Life“ von Kore-Eda Hirokazu
Die Japaner sind auch nach dem Tode noch ausgesprochen höflich! Aus einem weißen Licht heraustretend, werden die Neugestorbenen in Büros geführt und von freundlichen Beratern begrüßt, die an Schreibtischen sitzen und allen geduldig die Regeln erklären: Jeder soll den wichtigsten Moment seines Lebens auswählen, der wird dann verfilmt. Und wenn die Toten aus diesem Zwischenreich entlassen werden, leben sie ewig in dieser einen Erinnerung. Zumindest ist das in Kore-Eda Hirokazus Film „After Life“ so, den jetzt das Kino 46 zeigt: montags kommt jeweils eine neue Gruppe, bis Mittwoch sollte sich jeder für eine Szene entschieden haben, zwei Tage lang wird gedreht und am Samstag verlassen die Menschen diesen Limbus in ihr ganz persönliches „Für immer“.
Es geht sparsam zu in der Himmelsbehörde, aber die Beamten arbeiten hart und so kann jedem geholfen werden. Auch dem Mann, der mit Erschrecken merkt, dass es keinen einzigen bedeutsamen Augenblick in seinem Leben gab, oder der alten Frau, die an Alzheimer litt und deshalb keine Erinnerungen mehr hat. Für welche Erinnerung würden Sie sich entscheiden?
Kore-Eda Hirokazu stellt universelle, philosophische Fragen so spielerisch und leicht, dass man nie, wie bei Bergman oder Tarkovsky, meint, die schwere Denkerkappe aufsetzen zu müssen. Am Originaltitel „Wandafuru raifu“ lässt sich sein Vorbild erkennen: „It’s A Wonderful Life“ von Frank Capra. Dort geleitete der Hilfsengel Clarence den braven, aber verzweifelten Bürger James Stewart auf den Weg zur Selbsterkenntnis, hier ist es ein Team, das mit japanischem Arbeitsethos jeden Gestorbenen unterstützt.
Der grundsätzliche Unterschied: Hirokazu drückt nie auf die Tränendrüsen. Sein Zwischenreich wirkt völlig diesseitig und normal: Am ehesten erinnert es an ein etwas heruntergekommenes Ferienheim, Himmelsfahrten oder Hosiana singende Engel braucht’s da nicht. Außerdem mischt der Regisseur Spielszenen mit dokumentarischen Aufnahmen, in denen Menschen einfach direkt in die Kamera von den glücklichsten Momenten ihres Lebens erzählen. Als Zeugnisse von gerade Gestorbenen bekommen diese einen ganz anderen, viel stärkeren Resonanzkörper.
„After Life“ ist eine Meditation über das Erinnern, die Einsamkeit, die Liebe und nicht zuletzt das Kino. Denn nicht umsonst werden alle Lieblingsmomente als kleine Filme nachinszeniert. Es gibt in dieser vorbildlich geführten Behörde zwar auch die gesammelten Leben aller als Videobänder. Aber diese werden nur in Notfällen als Gedächtnisstütze verwendet. Denn die Erinnerung ist ja ein mehr gefühltes als reales Bild: Dem kann nicht die abgebildete Videowirklichkeit, sondern nur das inszenierte Kino entsprechen. Auch wenn es wie hier anrührend komisch mit solchen low-budget-Tricks wie Watteflöckchen auf einer Wäscheleine zusammengebastelt wird, die dann als Wölkchen durchs Bild ziehen.
Wilfried Hippen
„After Life“ läuft im Kino 46. Alle Filme & alle Termine finden Sie im taz-Kinoprogramm auf den Seiten II & III