■ In Vietnam wurde der buddhistische Patriarch verhaftet: Hart gezüchtigt
Rückgrat der „dritten Kraft“, die in den sechziger Jahren in Südvietnam gegen die einheimische Diktatur und – später – gegen die amerikanische Intervention protestierte, war die 1951 gegründete Vereinte Buddhistische Kirche Vietnams (UBCV). Nach dem Sieg des Nordens wurde rasch offenbar, daß Loyalität und Engagement für den Wiederaufbau nicht ausreichten, um den Buddhisten einen legitimen Platz im vereinten Vietnam zu sichern. Für die vietnamesischen Kommunisten war Bündnispolitik identisch mit Unterwerfung und vollständiger Kontrolle. Thich Huyen Quang, während des Befreiungskriegs Aktivist der Antikriegsbewegung in Saigon, bekam das schnell zu spüren. 1982 wurde er als „zu gefährlich für die Sicherheit und das Wohlergehen des Volkes“ in die Provinz verbannt und unter Hausarrest gestellt. Als der Patriarch der buddhistischen Kirche ihn 1992 testamentarisch zu seinem Nachfolger bestimmte, verweigerten ihm die Behörden die Anerkennung.
Der Hungerstreik, in den Thich vor vier Tagen trat und der mit seiner Inhaftierung endete, verweist auf einen auch aus anderen realsozialistischen Ländern notorischen Widerspruch. Wie kann die rasch und auf kapitalistischer Grundlage expandierende Ökonomie weiter ins Korsett des Partei-Staats eingezwängt werden? Widerstreitet die Basis nicht einem zunehmend obsoleten Überbau? Während in China ein Verschnitt aus maoistischen Restbeständen und neokonfuzianischen Tugend-Anleihen die Herrschaft der Nomenklatura auch künftig ideologisch sichern soll, stehen den vietnamesischen Kommunisten solche Mittelchen nicht zur Verfügung. Über zwei Drittel der Bevölkerung sind praktizierende Buddhisten, viele der Älteren haben im Nationalen Befreiungskrieg gegen die USA an der Seite der FNL-Guerilla gestanden, kein Ruch der Kollaboration mit den Imperialisten haftet dem vietnamesischen Buddhismus an.
Seit den Unruhen in Hue, die 1993 der Selbstverbrennung eines buddhistischen Mönchs folgten, ist offenbar, daß die Mitglieder der Vereinten Buddhistischen Kirche sich nicht mit dem zufriedengeben, was „Religionsfreiheit“ in Vietnam ihnen zugesteht: stille Andacht in den eigenen vier Wänden. Die vietnamesischen Behörden haben zwar 1992 ein neues Religionsgesetz erlassen, die Restitution von beschlagnahmtem Kirchengut in Aussicht gestellt und sich zu einigen Gesten des guten Willens bequemt, aber nach wie vor gilt: „Wer die Wahrheit verleumdet oder verzerrt, wird hart gezüchtigt.“ Und nach wie vor bestimmt die Regierung, wer sich Mönch nennen, wer Pagoden betreten, wer Schulen unterhalten und wer Konferenzen der Gläubigen abhalten darf. Ein halbes Dutzend buddhistischer Mönche sind weiterhin in Haft. Aber auch wenn nur einige Aktivisten von amnesty international auf diese Menschenrechtsverletzungen hinweisen – es sind nicht die religiösen „Dissidenten“, die sich in Vietnam in zunehmender Isolation befinden. Christian Semler
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