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■ In Ungarn siegen die Reformkommunisten bei den WahlenDer Sachverstand der Sozialisten

Nicht Restauration heißt der Terminus, der derzeit in den ungarischen Medien Hochkonjunktur hat. Sondern: sich übersiegen. Kommentatoren und Politologen warnen davor, daß sich die Sozialisten „übersiegen“ könnten, daß ihnen ihr Sieg bei den Wahlen zu Kopfe steigt, daß sie, ausgerüstet mit einer sicheren Mehrheit, alte Rechnungen aufmachen, still und heimlich Säuberungen beginnen und ihre eigenen Leute auf allerlei Posten hieven könnten.

Die Sozialisten bestreiten das, haben es, durchaus überzeugend, immer bestritten und entwerfen von sich selbst ein ganz anderes Bildnis. In Ungarn hat eine demokratische, liberal-sozialdemokratische und nicht eine postkommunistische Partei die Wahlen gewonnen, eine neue, keine Nachfolgepartei. So die Eigeneinschätzung angesichts des Wahlergebnisses vom Sonntag.

Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. Die Sozialisten sind keine monolithische Partei, wie die Propaganda gegen sie glauben macht, wenn von den Altkommunisten die Rede ist und Assoziationen an die Partei hervorgerufen werden sollen. Es gibt in ihr liberale und sozialdemokratische, national gesinnte und europäisch denkende Politiker. Das Wirtschaftsprogramm der Sozialisten ist liberal, während altkommunistische Gewerkschaftsführer in der Partei einen starken Rückhalt haben. Viele Gründer der Partei hielten es nicht für nötig, eine allzu tiefgreifende Aufarbeitung der Vergangenheit zu betreiben, da sie meinen, sich bereits vor 1989 genügend als Reformkommunisten profiliert zu haben. Anderen, zugegebenermaßen nicht vielen prominenten Sozialisten ist dieser Prozeß bis heute nicht weit genug gegangen.

Aber eigentlich geht es darum auch gar nicht mehr. Es wird keine Restauration geben, doch auch die Zeit der Vergangenheitsbewältigung, der in Ungarn sogenannte politische „Systemwechsel“, ist vorbei. Das Wahlergebnis zeigt es. Nicht nur befinden sich die Ungarn in einer prekären ökonomischen Lage, sie konnten sich auch mit der antikommunistisch-nationalistischen Art des Umgangs mit der Vergangenheit der bisherigen Regierungspartei kaum anfreunden. Jetzt geht es darum, mit „Sachverstand“, wie die Sozialisten zu propagieren pflegen, das Land ökonomisch voranzubringen.

Es wäre für Ungarn die beste Lösung, wenn die oppositionellen Freidemokraten mit den Sozialisten eine Koalition bildeten, bzw. deren Koalitionsangebot, falls es nach dem zweiten Wahlgang noch gültig sein sollte, akzeptierten. Dies gilt auch als wahrscheinlich. Das erschiene zwar vielen als Ironie der Geschichte: ehemalige Dissidenten sitzen mit ehemaligen Kommunisten in einer Regierung. Doch tatsächlich wären die Freidemokraten, die entschlossener und glaubwürdiger auf die Durchsetzung ökonomischer Reformen pochen, in der Lage, einen wirtschaftspolitischen Kurs, bei dem die Sozialisten zu sehr unter den Druck der altkommunistischen, populistischen Gewerkschaftsführer geraten könnten, zu korrigieren. Und sie könnten auch verhindern, daß die Sozialisten ihren Sieg ausnutzen, um ein Klientensystem einzurichten. So, wie es die scheidende Regierungspartei in den vergangenen vier Jahren getan hat. Keno Verseck, Budapest

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