■ In Spanien häufen sich die Korruptionsfälle: Den Anschluß an Europa geschafft
Es ist wie mit einer Lawine. Zuerst kullert ein Steinchen, kaum hörbar und kaum wahrgenommen, dann folgen, schon unübersehbar, ein paar größere Brocken, bis schließlich eine riesige Masse abwärtsdonnert und alles unter sich begräbt – oder fast alles. Das erste Steinchen mag Juan Guerra gewesen sein, der Bruder des ehedem mächtigsten zweiten Mannes im spanischen Staate, des Vizepräsidenten Alfonso Guerra. Juan war reich geworden. Zu schnell und zu nahe an der Macht. Alfonso hatte lange widerstanden und war schließlich doch gegangen. Dann folgten weitere Korruptionsfälle: Aus öffentlichen Mitteln finanzierte teure Luxusklamotten der Chefin des staatlichen Fernsehsenders TVE, Bodenspekulationen der staatlichen Eisenbahngesellschaft RENFE, Briefkastenfirmen, aus deren nie getätigten Geschäften Gewinne erwirtschaftet und an Partei und ihre Mitglieder ausgezahlt wurden. Diese Woche raste mit der Flucht des ehemaligen Chefs der Guardia Civil, Luis Roldan, und der gestrigen Festnahme des Notenbankgouverneurs Mariano Rubio sowie seines Geschäftskollegens Manuel de la Concha die Korruptionslawine endlich bergab.
Daß Premierminister Felipe González nun deprimiert seine Bonsais pflegt und die Spanier schockiert sind, ändert nichts an der Tatsache, daß die in letzter Zeit bekanntgewordenen Korruptionsfälle nur die Struktur aufzeigen, die die Sozialisten in den Jahren ihrer Regierung eingerichtet haben. Die während der Francozeit im Widerstand nicht sonderlich zahlreichen Sozialisten waren 1982 deshalb an die Macht gekommen, weil sie im Ausland als ungefährlich und im Inland als moderne Linke galten. Das linke Mäntelchen streiften sie bald ab, um es nur noch zum Wahlkampf aus der Kiste zu ziehen, doch modern waren sie und wurden es immer mehr. Die achtziger Jahre zeichneten sich in Spanien, unterstützt durch eine neoliberale Wirtschaftspolitik, durch einen Rausch des schnellen Geldes aus, der sich zum nationalen Kristallisationspunkt aufschwang. Daß die Parteimitglieder und ihr Umfeld sich diesem nationalen Credo nicht verweigerten, sondern – viele zumindest – begeistert mitmachten und ihre Standortvorteile dabei nutzten, ist nur logisch. Zu den zahlreichen unseriösen Geldgeschäften gesellte sich zunehmend die Korruption als unentbehrlicher Alleskleber in einer PSOE- kontrollierten Klientelgesellschaft.
Nun ist die Lawine abwärtsgekracht. Die PSOE hält sich bislang. Auf einem Bein zwar und dementsprechend wackelig, doch nicht umsonst übt sie sich seit 1982 im Stehenbleiben. Als geübte Taktiker haben die Sozialisten sich an die Spitze derer gestellt, die nach dem Besen schreien, um den Stall auszumisten. Gescheiter wäre vielleicht, wenn sie offensiv darauf hinwiesen, daß sie auch in diesem Punkt den Anschluß an Westeuropa geschafft haben: Die Nachbarn Italien und BRD zeigen schon lange, wie's geht. Flick läßt grüßen. Antje Bauer
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