In Schöneberg : Brustkrebs
Eine Kneipe in Schöneberg, so eine, wo allerlei verschiedene Leute sich begegnen: die üblichen alten Typen am Tresen, ein paar offensichtlich schwule Stammgäste, eine Dragqueen, eine schräge Gestalt neben der Toilettentür und ein Pärchen, das in einer finsteren Ecke knutscht. Mitten in der Woche treffe ich dort einen Freund, der beruflich für ein paar Tage in Berlin ist. Wir quatschen viel, haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Der Barmann warnt uns: „Passt auf eure Sachen auf, lasst sie nicht aus den Augen!“
Ein Paar Minuten nach uns stolpert eine Frau herein und setzt sich neben uns an den Tresen. Sie versucht mit uns zu sprechen, macht sich – mit großer Mühe – eine krumme Zigarette an. Sie will uns dazu überreden, ihr ein Glas auszugeben. „Ich habe Brustkrebs“, argumentiert sie. Wir versuchen sie zu ignorieren, haben uns viel zu sagen. Der Barmann sagt ihr, sie werde an diesem Abend von ihm nichts zu trinken kriegen, und sie solle aufhören, die anderen Gäste – uns – zu belästigen.
Dann kommt ein kräftiger Typ und stellt sich neben sie. Wir denken uns: das kann nur ihr Freund sein. Er fangt an zu brüllen: „Nee, nix da mit Überweisung: ein Taxi bezahlt man gleich! Ich kenn dich schon, letztes Mal haste mir dasselbe erzählt!“ Sie erwidert unverständliche, abgerissene Sätze, die sie mit seltsamen Gesten unterstreicht. Die beiden streiten eine Weile, dann gehen sie raus. Der Barmann meint, das mache sie öfters mit den Taxis, und grinst amüsiert. Die berauschte Frau kommt kurz darauf zurück und probiert, eine zweite Kippe anzuzünden.
Wir wollen weiter und lassen sie zurück: alleine, betrunken und traurig. Aber irgendwie verfolgen uns ihre trüben Augen, ihre müde Silhouette und ihre verwirrten Sätze, die wir kaum verstanden haben. Als hätten wir diesen Abend ein Berliner Gespenst getroffen. MARLENE GOETZ