■ In Mexiko gewann die Staatspartei PRI die Wahlen: Fatal unterschätzt
Das Votum für Kontinuität hat sich im mexikanischen Krisenjahr gegenüber dem lautstarken Ruf nach Wandel – sollten sich die vorläufigen Hochrechnungen bestätigen – deutlich durchgesetzt, das zapatistische Basta ist nicht bis an die Wahlurnen vorgedrungen. Vergeblich hatte der Schriftsteller Carlos Fuentes noch am Vortag der Wahlen gewarnt, daß die PRI, die seit 65 Jahren den Präsidenten stellt, „eine Tragödie für die Demokratie in Mexiko“ und „ein Sieg der Opposition weniger gefährlich für das Land“ sei. Das gemeine Wahlvolk hat sich stärker von der Angst vor der Veränderung leiten lassen als von dem Zorn auf den ungeliebten Status quo.
Wie sauber die Stimmabgabe über die Bühne gegangen ist, läßt sich zur Stunde noch nicht ausmachen. Hilfreich ist jedenfalls weder die offizielle Selbstbeweihräucherung noch der vorschnelle Vorwurf des altvertrauten „Betrugs“ – als ob sich die Situation von 1994 in nichts von jener der ebenso frechen wie massiven Wahlfälschung 1988 unterschieden hätte. Verändert aber hat sich, neben den äußeren Umständen, auch noch etwas anderes: War vor sechs Jahren noch die überwältigende Mehrheit der Anti-PRI- Stimmen auf das Konto der PRD, des Wahlbündnisses um Cuauhtémoc Cárdenas, gegangen, so ist heute der rechtsliberale Newcomer Diego Fernández de Cevallos für die MexikanerInnen offensichtlich doppelt so attraktiv wie sein linker Rivale. Ein Rätsel, das zu lösen sein wird: das Resultat einer perfiden Manipulationsmaschine, die den Schmuseoppositionellen Diego als genehme Alternative zum jahrelangen Lieblingsfeind der PRI, den ehemaligen Dissidenten Cárdenas, aufbaut? Oder – angesichts einer drohenden Unregierbarkeit – ein gesellschaftlicher Rollback in katholisch angehauchte Heilsversprechen?
Auf jeden Fall dürfte das enttäuschende PRD-Ergebnis auch Anlaß sein für die Revision linker Politikkonzepte in Mexiko. Es kann nicht einfach darum gehen, eine „PRI in Grün“ zu präsentieren, wie der Vorwurf vieler MexikanerInnen lautet. Gefordert ist politische Phantasie anstelle von Parteienkultur, alternative Politik anstelle von Anti-Identität. Denn schließlich ist das „Phänomen PRI“ weit mehr als eine Partei: Sie ist das Synonym für eine Kultur des Paternalismus und Autoritarismus – und davon ist die gesamte mexikanische Politiklandschaft noch immer infiziert. War also die Hoffnung auf den WählerInnenaufstand vor allem eine Überschätzung der in letzter Zeit so inbrünstig beschworenen sociedad civil, der Zivilgesellschaft? Möglich. Vor allem aber eine fatale Unterschätzung der Anziehungskraft einer totgesagten Staatspartei, die von vielen schon längst – und zu Recht – als Anachronismus auf dem Müllhaufen der Geschichte verortet wurde. Anne Huffschmid
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