■ In Los Angeles wurden zwei Polizisten schuldig gesprochen: Vom Moloch zur Metropole
Der Name lädt zum Wortspiel ein. „Geht die Stadt der Engel zum Teufel?“ – Solche und andere Überschriften müssen sich die Bürger von Los Angeles seit letztem Jahr gefallen lassen. Die Westküstenmetropole, die sich nach den Olympischen Spielen 1984 eines ewigen Booms so sicher schien, war plötzlich zum Schandfleck der Nation geworden, zum Synonym für den Verfall und die Unregierbarkeit der amerikanischen Großstädte. Ein Moloch, der durch Rezession, Rassismus und zunehmende Spannungen zwischen ethnischen Gruppen in feindselige Stammesgebiete auseinanderzufallen drohte.
So paradox es klingen mag: Der Gewaltausbruch vor einem Jahr, der die Gräben zwischen den ethnischen Gruppen so unüberwindlich erscheinen ließ, hat eben diese Gruppen näher zusammengebracht. Zwischen Interessenverbänden und Bürgergruppen der Koreaner, Afroamerikaner, Latinos und selbst der Weißen hat in den letzten zwölf Monaten mehr Kommunikation und Kooperation stattgefunden als je zuvor. Und so abstoßend die von den Medien erzeugte Hysterie der letzten Wochen auch gewesen sein mag, sie hat diesen Prozeß des Zusammenrückens noch verstärkt: Je alarmierender und sensationsgieriger die Berichterstattung, desto demonstrativer die gemeinsamen Auftritte von Repräsentanten der verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen – bis hin zum gemeinsamen Werbespot von Arnold Schwarzenegger und dem schwarzen Talkmaster Arsenio Hall.
Der Schuldspruch gegen die zwei Polizisten war am Ende der Höhepunkt eines drehbuchreifen Dramas, mit Hilfe dessen sich Los Angeles ganz offensichtlich in den Augen der Nation rehabilitieren wollte. Aus dem unregierbaren Moloch soll wieder eine Metropole werden, die den friedlichen Weg in die demographische Zukunft aufweist: Fast fünfzig Prozent aller Bürger von Los Angeles sind im Ausland geboren. Nicht umsonst haben alle Politiker, angefangen vom Präsidenten über den Bürgermeister bis zum Stadtrat in den letzten Tagen immer wieder den gesellschaftlichen Reichtum durch ethnische Vielfalt betont.
Und tatsächlich hat diese Stadt es mit einer für Außenstehende beeindruckenden Mischung aus Aktivismus und Lokalpatriotismus seiner Bürger geschafft, eine solche Aufbruchstimmung herzustellen. Doch die löst sich innerhalb kürzester Zeit in nichts auf, wenn sie nicht umgehend materiell untermauert wird. Soll heißen: Los Angeles braucht Geld, enorm viel Geld und eine kompetente Stadtverwaltung, um wenigstens die ersten kleinsten Schritte eines wirtschaftlichen Wiederaufbaus in Angriff zu nehmen. Allerdings ist weder das eine noch das andere in Sicht. Womit man wieder bei der Ausgangsfrage angelangt wäre, ob die Stadt der Engel irgendwann doch zum Teufel geht. Andrea Böhm, Los Angeles
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