■ In London rufen Eilige ein Motorrad-Taxi: Easy Rider in der City
London (dpa) — Vom Oxford- Circus zum Waterloo-Bahnhof in nur zehn Minuten, und das in der Rush-hour? Unmöglich bei dem alltäglichen Verkehrsinfarkt, der das Autofahren in London zum Horrortrip macht. Es sei denn, man ruft ein „Taxi-Bike“, ein Motorrad-Taxi, das seine Fahrgäste in der Hälfte der sonst benötigten Zeit ans Ziel bringt.
Als vor vier Jahren ein Streik die Londoner U-Bahnen lahmlegte, stieg der damalige Börsenmakler Robert Cave zum ersten Mal aufs Motorrad um. Vor drei Monaten hat er daraus ein Geschäft gemacht. Heute stehen in seiner Zentrale die Telefone nicht mehr still. Inzwischen hat er zwei Motorräder gekauft und vier Fahrer eingestellt. Täglich befördert der „Bike-Service“ Londoner, die die Verspätungen im öffentlichen Nahverkehr und die Staus auf den Straßen leid sind und pünktlich zu Terminen oder am Arbeitsplatz erscheinen müssen. Die Strecke vom Stadtzentrum zum Flughafen Heathrow, so berichtet Cave, sei besonders gefragt. Seine Männer auf den Feuerstühlen mit den Nadelstreifen-Passagieren schaffen sie in 35 Minuten. Mit Auto, Bus oder U-Bahn ist man weit über eine Stunde unterwegs.
Nicht nur Geschäftsleute mit Aktenköfferchen lassen sich ein Motorrad-Taxi rufen. Auch die Fernsehmoderatorin Paula Yates, Frau des Popsängers Bob Geldof, gehört beispielsweise zur Stammkundschaft. Sie läßt sich von Caves Truppe jeden Morgen zur Arbeit fahren. „Und natürlich“, klärt Cave auf, „befördern wir auch viele Leute, die nur ihre Freundin beeindrucken wollen.“ Es sei eben etwas Besonderes, von einem Chauffeur im Lederdreß abgeholt zu werden.
Vor Antritt der Fahrt mit Helm, Handschuhen und einer warmen Jacke aus Caves Kleiderkammer ausgerüstet, die Beine unter einem wetterfesten Umhang verstaut, ist der Fahrgast auf dem Sozius vor Wind und Wetter geschützt. Ein Mikrofon sorgt für ständigen Sprechkontakt mit dem Fahrer. Gepäck läßt sich in einem kleinen Kofferraum verstauen. Dort befindet sich auch ein Kosmetikspiegel für Kundinnen, die Frisur und Make-up nach der Fahrt wieder in Ordnung bringen wollen — ein absolutes Muß. Denn mehr als 60 Prozent der Kundschaft seien Frauen, sagt Cave. „Die führen oft ein stressigeres Leben, mit Beruf und Familie“, meint er. „Sie sehen das Taxi-Bike als eine Möglichkeit, viel schneller irgendwo hinzukommen.“
Schnelligkeit und Service haben ihren Preis: Pro Meile (1,6 Kilometer) verlangt Cave 1,85 Pfund (4,60 Mark). Das ist fast das Doppelte des Preises eines Londoner Normaltaxis. Angst vor Geschwindigkeit oder rasanten Überholmanövern brauchten seine Kunden nicht zu haben, betont Cave. Alle Fahrer hätten ein besonderes Sicherheitstraining absolviert, zwei seien ehemalige Polizisten. „Es ist noch nie vorgekommen, daß jemand Angst hatte und abgestiegen ist“, sagt Cave. Im Gegenteil: Wenn sich die Taxi-Bikes durch den stehenden Verkehr schlängeln, vorbei an wartenden Bussen, Autos und eben auch Taxen, ernten ihre Fahrgäste nicht selten neidische Blicke.
Wer ein Motorrad-Taxi wähle, komme nicht nur schnell voran, er komme auch in den Genuß des ganz speziellen Fahrgefühls, meint Cave. Auf dem Sozius an den Londoner Sehenswürdigkeiten vorbeizurauschen, sei ein besonderes Erlebnis. Cave: „Es ist eine hervorragende Möglichkeit, herumzukommen und dabei gleichzeitig etwas von der Stadt zu sehen.“
Weil er zu den hellwachen Geschäftsleuten gehört, denkt er daran, seinen Service zu erweitern: Nächsten Sommer möchte er Motorrad-Sightseeing für Touristen anbieten. Nina Kupfer
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