■ In Italien droht ein Rückfall ins alte Regime: Alles für die Katz gewesen?
Berlusconi hat, wie es gemeinhin heißt, die erste Hürde genommen: der Senat, in dem die Rechtskoalition keine Mehrheit besitzt, hat mit Hilfe einiger vorsätzlicher „Abwesenheiten“ von Oppositionellen die Vertrauensfrage bejaht.
Aus der Regierungserklärung läßt sich bisher allenfalls erkennen, was man aus allen Regierungserklärungen entnehmen kann – tausend gute Vorsätze zu tausend brennenden Themen, aber keinerlei Festlegung, und dazu auch noch so mancher Widerspruch in sich – etwa das Versprechen auf „mehr Sicherheit für die Arbeitnehmer“ und gleichzeitig auf „mehr Flexibilität bei der Besetzung von Arbeitsplätzen“, was ja nur leichtere Kündbarkeit bedeuten kann. Doch auch das ist nichts Neues; es klingt in Deutschland, England, Frankreich und den USA genauso.
Was jedoch im Zuge nicht nur des wochenlangen Hickhacks um Ministerposten, sondern auch im Umfeld der Programmatik sichtbar wurde, ist etwas anderes, und das sollte mehr beunruhigen als vieles, was man aus dieser oder jener Äußerung der äußersten Rechten herauszuhören meint: Die trotz allerlei ekelhaften Beiwerks wichtigste Erneuerungkraft im Lande, die oberitalienischen Ligen, haben ihr Grundanliegen, den Föderalismus, zugunsten einer Beteiligung an der Macht verkauft.
Ausländischen Beobachtern fällt das in der Regel nicht sonderlich auf, weil die meisten von ihnen die Ligen und insbesondere deren marktschreierischen, wetterwendischen Chef Umberto Bossi sowieso nicht mögen und den Kollaps seiner Bewegung wohl begrüßen würden.
Tatsächlich aber war es nur den Ligen zu verdanken, wenn in Italien die seit fast fünfzig Jahren regierende Mauschelbande aus Christdemokraten und Sozialisten mit ihrer Führungs-Gerontokratie endlich in Pension geschoben wurde, und mancher unter ihnen auch ins Kittchen. Ohne den Beistand einer machtvollen politischen Formation, die noch relativ frei von Skandalen ist, wäre die Ermittlungsaktion „Saubere Hände“ der Staatsanwaltschaft Mailand niemals vorangekommen, hätte das verschworene Schweigen der Abzocker weiter angehalten. Auch die Wahlrechtsreform ist nur den Keulenschlägen zu verdanken, die die Ligen dem System versetzt haben.
All diese Entwicklungen der letzten Jahre sind nun in Gefahr. Für das Zipfelchen Macht an der Seite Berlusconis haben die Ligen ein Programm hingenommen, in dem allenfalls ein paar kosmetische Korrekturen zugunsten der Regionen versprochen werden; selbst die noch im Wahlkampf als unabdingbar geforderte Fiskalhoheit für die Großregionen ist perdu.
Die Liga wird sich darob spalten, darüber gibt es wenig Zweifel. Und Berlusconi kann sich freuen – damit, nur damit hat er wirklich ein erstes Ziel erreicht: der reformatorische Impetus ist gebrochen, die Unterstützung für die Skandalbereinigungen wird wirkungslos. Bald werden sich die alten Filzokraten zurückmelden und ihre Plätze wieder einnehmen – und das Ausland wird Beifall klatschen, denn das wird Berlusconi ihm dann als einzige Möglichkeit zur Zähmung der Neofaschisten verkaufen.
Und verkaufen, kann er, der Berlusconi, kein Zweifel. Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen