In Hamburg fahren immer mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die immer weniger gefördert werden – weshalb die vielen Menschen immer mehr bezahlen müssen: Wenn vier Kilometer einen Stundenlohn kosten
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Draußen ist es jetzt kälter, manchmal auch nass und kalt, manchmal schneit es sogar und es wird glatt. Unter solchen Umständen fahren viele Leute nicht mehr gerne mit dem Fahrrad. Unter solchen Umständen lassen manche sogar ihr Auto stehen. Deshalb sind die U-Bahnen und S-Bahnen voller als zum Beispiel im August. Überhaupt sind in Hamburg von Jahr zu Jahr mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs: Solche Zuwachsraten wie in Hamburg zumindest gebe es in kaum einer anderen Stadt in Deutschland, berichtete im Mai erfreut Lutz Aigner, der Geschäftsführer des örtlichen Verkehrsverbunds HVV.
Das ist soweit schön. Nicht schön ist, dass die Fahrpreise auch im nächsten Jahr wieder steigen sollen. So soll die Einzelfahrt im „Großbereich Hamburg“ ab Januar 3,20 Euro kosten.
Die Aufteilung der Bereiche war mir schon immer unverständlich: Ich kann mit einem Ticket für den Nahbereich mal recht lange unterwegs sein, und dann auch wieder nicht. Ich kann zum Beispiel in 18 Minuten von der Haltestelle Eppendorfer Baum zum Hauptbahnhof fahren: Diese Strecke liegt aus irgendwelchen Gründen im Nahbereich, und die Fahrkarte kostet 2,10 Euro. Fahre ich aber in der Hälfte der Zeit, also in neun Minuten, zum Beispiel vom U-Bahnhof Ritterstraße zum Meßberg, sprengt das irgendwie den Nahbereich, und ich muss 3,10 Euro bezahlen.
Das hängt nicht damit zusammen, dass ich den „Großbereich Hamburg“ an irgendeiner Stelle verlassen hätte, das hängt damit zusammen, dass ich eine imaginäre Zahlgrenze überschritten habe. Aber ich kann mir auch eine Tageskarte kaufen, die kostet immerhin für alle Strecken innerhalb des Großbereiches gleich, nämlich – ab Januar – 6,20 Euro.
Wie kann es aber sein, dass trotz steigender Fahrgastzahlen auch die Fahrpreise stetig steigen? Und was ist das überhaupt für eine Politik? Ich knabbere ganz ehrlich daran, denn ich muss auch noch Monatskarten für zwei Teenager bezahlen, die zwar nur drei Minuten zur Schule fahren, aber dafür eine Monatskarte des Großbereiches benötigen. Und in diesen drei Minuten stehen sie dicht an die Tür gequetscht, denn die U-Bahn, in die sie steigen, ist morgens immer überfüllt. Besonders im Winter, wenn sie nicht mit dem Fahrrad fahren.
Im Vergleich mit Städten wie Berlin, München, Wien, Zürich, Barcelona, Marseille soll Hamburg die mit Abstand teuersten Abopreise im öffentlichen Nahverkehr haben. Da es sich auch in diesen Städten nicht viel günstiger leben lässt, fragt sich doch, warum das so ist? Der HVV begründet die steigenden Preise mit seinen steigenden Kosten. Zwar kommt auch mehr Geld durch mehr und teurere Tickets herein, aber dennoch werden die Kosten nicht durch den Ticketverkauf gedeckt, die Stadt Hamburg bezuschusst den öffentlichen Nahverkehr: im Jahr 2013 mit rund 280 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2008 lagen die Zuschüsse bei 357 Millionen Euro, ab da ging es bergab. Es fahren also immer mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die immer weniger gefördert werden – weshalb die vielen Menschen immer mehr selbst bezahlen.
Man kann mit dem Bus für acht Euro von Hamburg nach Berlin fahren, also knapp 300 Kilometer, oder man kann in Hamburg für eine Entfernung von vier Kilometern 3,10 Euro bezahlen. Natürlich bezahlt man nicht nur für die Entfernung, sondern auch für den Service und die Bereitstellung, und natürlich fahre ich immer noch wieder U-Bahn und kaufe mir kein Auto. Aber ich kenne mittlerweile Menschen in prekären Jobs, mit Kindern, die sich das lange überlegen, ob sie die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, weil sie das einen Stundenlohn kostet. Was den öffentlichen Nahverkehr und das Radwegenetz angeht, bin ich also nicht gerade stolz auf diese Stadt, die ich ansonsten doch ganz gern habe.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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