In Ausdruck bringen

Beim „tanzwerk“ setzen Jugendliche ihre Alltagswelt in Bewegung um. In aktuellen Produktionen geht es um Ausgrenzung und Mobbing – und um die Gattung der paarhufigen Hornträger: Zicken

„Die Jugendlichen halten mit Gefühlen hinterm Berg. Deshalb ist gerade Tanz etwas Besonderes für sie“.

Bedrohlich nähern sich die Jugendlichen ihrem Opfer. Es ist ein Junge, er liegt zitternd und hilflos da. Abwehrend hebt er die Hände. Keiner kommt ihm zur Hilfe.

Die Gewalt ist nur gespielt, besser gesagt, getanzt. Aber trotzdem beklemmend. Und obwohl sie auf der Bühne stattfindet, hat sie einen Platz im „wirklichen“ Leben der jungen DarstellerInnen. Das „tanzwerk“, Zentrum für zeitgenössischen Tanz, erarbeitet mit Jugendlichen Stücke, die eben diese Erfahrungen in Tanz umsetzen. Neben den hauseigenen Jugendtanzkompagnien „jump“ und „terranza“ gibt es seit einigen Jahren das Projekt „Whirlschool“, in dem professionelle TänzerInnen in die Schulen gehen – gefördert von der Jugend-Kunst-Stiftung in Bremen. In diesem Jahr waren „Cliquen, Außenseiter, Mutige“ das Thema.

Anne-Katrin Ortmann hat mit dem Kurs „Darstellendes Spiel“ am Schulzentrum Kurt-Schumacher-Allee zusammengearbeitet. Heraus kam das Stück „Querschläger“: zeitgenössisches Tanztheater mit Jugendlichen. Die Tänzerin und Tanzpädagogin Ortmann hatte sich dabei vorgenommen, die SchülerInnen „in Ausdruck zu bringen“, wie sie es nennt. Gar nicht so einfach.

„Die Jugendlichen halten mit ihren Gefühlen hinterm Berg. Ihnen fällt es schwer, physisch präsent zu sein. Deshalb ist gerade Tanz etwas Besonderes für sie.“ Für Ortmann war vor allem die gemeinsame Entwicklung spannend: „Nach und nach haben sich alle auf die Arbeit eingelassen.“ Aus Improvisationen haben sie gemeinsam das Stück entwickelt und dabei auf den Zusammenhalt gesetzt, wenn Einzelne die Lust verloren oder sie schlicht die körperliche Kraft verließ: „Ich habe klargemacht, dass sie als Gruppe verantwortlich dafür sind, dass das Stück nicht untergeht.“

Gruppen sind das Thema des Stückes. Wer gehört dazu, wer wird ausgegrenzt? Das Bemühen der Außenseiter im Stück, akzeptiert zu werden, die gewalttätige Ablehnung der Gruppen – der Zuschauer soll in das Innere der Figuren sehen können. „Für Jugendliche sind Cliquen und Ausgrenzung Alltag“, so Ortmann. Und obwohl die Schüler nicht gerade mitten im sozialen Brennpunkt leben, ist Gewalt etwas Alltägliches: ein Schüler kam nach einer Prügelei mit einem Gipsarm zum Tanzunterricht.

Anne-Katrin Ortmann ist überzeugt, dass die Arbeit Wirkung zeigt: „Das verändert die Wahrnehmung. Es ist für die Jugendlichen jetzt sicher einfacher, eine Situation, in der ausgegrenzt oder gemobbt wird, zu erkennen. Und vielleicht sogar einzugreifen“.

Zusammen mit ihrer Kollegin Inga Becker hat Ortmann in diesem Jahr auch eine der Jugendkompagnien des tanzwerks geleitet – „Jump“.

Im Gegensatz zur gemischten Schulklasse gibt es in der Kompagnie zur Zeit nur Mädchen – das Thema des Stückes passt dazu: Zicken. Auf der Bühne bocken die Mädchen, sie umarmen sich, beschenken sich – und im nächsten Moment fallen sie übereinander her und reißen sich an den Haaren. Die Ambivalenz in Beziehungen und Gefühlen wird deutlich. „Zicken haben aber auch eine unheimliche Power“ findet die Tanzpädagogin Becker. Und sie will ihren Tänzerinnen helfen, diese Kraft zu entdecken. Sie sieht sich als Coach: „Hier kann jeder sein, wie er ist.“ Anders als in einer Ballettschule kommt es laut Becker im tanzwerk darauf an sich einzubringen. Mehr Selbstbewusstsein, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – das sollen die Mädchen mitnehmen. Achim Eidenberg

Mehr über die Angebote im tanzwerk unter www.tanzwerk-bremen.de