Nachruf
: Impulsiv und unbeugsam

■ Zum Tod der Schauspielerin Melina Mercouri

Das war Melina Mercouri: impulsiv, unbeugsam, voller Trotz. Ein Trotz, der sie von klein auf auszeichnete. Mit 16 war sie von zu Hause durchgebrannt, um heimlich irgendwo in der Provinz den Mann zu heiraten, der ihr mit seinem Reichtum die nötige Unabhängigkeit für ihre Wunschkarriere als Schauspielerin verschaffen sollte, die ihrer bürgerlich-konservativen Athener Aristokratenfamilie nicht paßte.

Sie wurde Schauspielerin, 20 Jahre später war sie weltberühmt: als „Mädchen von Piräus“, im Film „Sonntags nie“. Der Komponist Manos Hadjidakis, der die Musik zu diesem Film geschrieben hatte, geniert sich heute ein bißchen für den Titelsong, als ernsthafter Komponist möchte er mit diesem etwas seichten Hit nicht gern identifiziert werden. Er blieb aber ebenso an ihm hängen wie das „Mädchen von Piräus“ an Melina. Sie blieb weltweit das „Never on Sunday“-Girl, wie die Illustrierte Life sie auf einem Titelbild einmal nannte.

Begonnen hatte ihre Karriere ganz anders: an einem Athener Theater, mit Klassikern der Moderne. Sie lernte bei Dimitris Rondiris, einem Schüler von Max Reinhardt. Als Lavinia in O'Neills „Trauer muß Elektra tragen“ und als Blanche in Tennessee Williams' „Endstation Sehnsucht“ hatte sie in den 40ern ihre ersten großen Erfolge, spielte in rund 60 modernen Stücken, von Anouilh bis Shaw.

1955 begann ihre zweite Karriere. Der Filmregisseur Michalis Kakojannis verpflichtete sie für die Hauptrolle in einem Film über ein emanzipiertes junges Mädchen, das sich den Zwängen der patriarchalen Gesellschaft nicht unterordnen will und daran zugrunde geht. Ein Film, gedreht im anrüchigen Bohemien-Milieu der Bouzouki-Kneipen. Er brachte ihr ganze 2.000 Dollar Gage, aber was wichtiger war: eine Reise nach Cannes. Einen Preis gab es nicht, dafür traf sie Jules Dassin, den Regisseur von „Rififi“, mit dem sie bis zu ihrem Tod zusammenbleiben sollte. Mit ihm drehte sie „Sonntags nie“ (der ihr in Cannes dann doch noch den Schauspielerpreis brachte) und ein halbes Dutzend weiterer Filme, von „Topkapi“ bis „Griechische Passion“. Und gesungen hat sie auch immer wieder; eine Plattenkassette, die vor fünf Jahren herauskam, umfaßt rund 50 Titel, darunter Lieder von Kurt Weill und Léo Ferré.

Dann kam das Jahr 1967, der Obristenputsch in Athen, und damit ihre dritte Karriere. Die Welt erlebte eine andere, aber ebenso leidenschaftliche Melina Mercouri. Die Kämpferin gegen die Putschisten ging auf Welttournee gegen die Junta, plädierte für einen Tourismus-Boykott. Nicht lange, und die Obristen reagierten auf ihre Weise: Junta-Minister Pattakos entzog ihr die Staatsbürgerschaft und konfiszierte ihr Vermögen. Ihre spontane Reaktion auf einer Pressekonferenz in New York wurde zum geflügelten Wort: „Ich bin als Griechin geboren, als Griechin werde ich sterben. Pattakos ist als Faschist geboren, er wird als Faschist sterben.“

Politik blieb ihr Hauptberuf, und damit kehrte sie zurück zur Familientradition. Melina Mercouri, in ihren Jugendjahren geprägt vom Erlebnis der Nazi-Besatzung, blieb wie ihr Bruder zeitlebens in der Linken zu Hause, und so wurde Papandreous sozialistische Pasok nach dem Sturz der Junta ihre politische Heimat.

Was sich auszahlte: Im ersten Pasok-Kabinett wurde sie 1981 Kulturministerin, und sie blieb im Amt bis zum Machtantritt der Konservativen – was keinem Mann in der Papandreou-Regierung gelang. Im letzten Herbst kehrte sie, bereits vom Lungenkrebs gezeichnet, ins Kulturministerium zurück.

Mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit versuchte sie Unmögliches möglich zu machen. 1989 kämpfte sie dafür, die Jubiläums- Olympiade von 1996 nach Athen zu holen, 100 Jahre nach den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, die ebenfalls in Athen stattgefunden hatten. Doch im Kampf gegen die Weltmacht Coca-Cola konnte auch der Charme einer Mercouri am Ende bei den Lebegreisen vom Internationalen Olympischen Komitee nichts ausrichten; Atlanta, die Heimatstadt von Coca-Cola, gewann. Aber immerhin war ihr etwas anderes gelungen: In Athen war 1989 die wohl bedeutendste Ausstellung zum Thema Sport in der Antike zu sehen, mit Leihgaben aus dem Louvre und dem British Museum, der Münchner Glypthothek und dem Berliner Antikenmuseum.

Auch einer anderen Kampagne blieb der Erolg versagt: Melina Mercouri hatte sich in den Kopf gesetzt, mit Unesco-Hilfe die sogenannten Elgin Marbles heimzuholen – jene von Lord Thomas Elgin zu Anfang des 19. Jahrhunderts nach England entführten Parthenon-Skulpturen, die heute das British Museum zieren. Obwohl sie auch im vVereinigten Königreich prominente Fürsprecher für ihre Forderung fand, galt das Unternehmen von Anfang an als aussichtslos. Nicht für Melina Mercouri – sie ließ das Museum, das die Schätze aufnehmen sollte, schon mal in Auftrag geben.

Was außer rund 20 Filmen und vielen Liedern blieb, ist nicht zuletzt dies: Melina Mercouri hat den griechischen Frauen gezeigt, was eine Frau in einer patriarchal geprägten Umwelt durchzusetzen in der Lage ist. Eberhard Rondholz