■ Immobilienmarkt Berlin: Der Mieter ist König
Verrückte Welt? Abgerissen und mit leeren Taschen treiben sich Bürohausbesitzer nachts auf den Straßen herum und machen Kneipenbummler und U-Bahn-Passagiere mit billigen Gewerbeflächen an. „Haste mal 'ne Mark für fünfhundert Quadratmeter 1-A-Lage in der Friedrichstraße?“ lautet die Parole an jeder Ecke. Die ersten sechs Monate könnten ganz mietfrei bezogen werden, husten die armen Schlucker, die sich in den zu Wärmestuben umgewandelten Immobilienpalästen frühmorgens treffen, die Pulle rundgehn lassen und manchmal heulend übereinander herfallen.
Verrückte Welt? In Berlin bald schon Alltag. Bei dem größer und größer werdenden Bürobubble zwischen Bahnhof Zoo und Alexanderplatz ist nicht mehr der dicke Investor der King auf dem rezessiven Markt, sondern „der Mieter avanciert zum König des gewerblichen Immobiliengeschehens“, wie die Beratergesellschaft Jones Lang Wootton bedauernd feststellt. Zuviel gebaute Büros. Ein Meer von Angeboten. Pleiten, Pech und Pannen mit dem Leerstand, und schon sind die Rollen beim Immobilienzocken vertauscht. „Freie Wahl unter den verschiedensten Alternativen“, lautet die Schreckensbotschaft. Es beginnt mit Schnuppermieten und Kundenklau. Dann unterbieten sich die Investoren gegenseitig, hauen und stechen sich aus, schaffen jeden Tag neue Mietpreiscrashs. Doch alles nutzt nichts. Über allem thront der Mieter als König. Welch ein Bild! Was für eine Zukunft für alle Armen, die Büros und Läden suchen. Der alternative Betrieb neben der Werbebranche, die digitalen Bürofreaks über den anthrazitfarbenen Bankern. Berliner Mischung all überall. Man bekommmt schon Mitleid mit den Bauhaien, die „Ruhepausen“ und „gesunde“ Aufwärtstrends zur „Belebung“ beschwören. Aber wer den Hals nicht voll genug kriegen kann, soll ruhig mal kotzen. Rolf Lautenschläger
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