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■ Immigration & Literatur LeseprobeVom alltäglichen Morden

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der an der Grenze zwischen rivalisierenden Königreichen des Bewußtseins starb, unter Umständen, die sowohl für Schwarze als auch für Weiße peinlich waren. Die Weißen waren über die Kaltblütigkeit des Mordes entsetzt, die Afrikaner über die Ereignisse, die dazu führten. Kaum jemand wollte später darüber sprechen. Der folgende Bericht ist daher aus zufälligen Informationen, hingeworfenen Bemerkungen und Fragmenten zusammengesetzt. Die Hauptfigur bleibt für mich ein Rätsel. Alles, was ich wirklich über Themba Ngwazi weiß, ist, daß er klein, untersetzt und neunundzwanzig Jahre alt war und daß er keine Angst vor dem Tod hatte. Joel Matlou beschrieb seinen ersten Tag im Schacht so: „Um 7.15 Uhr morgens brachte uns der Boss-Boy zum Aufzug. Als es abwärts ging, gingen mir die Ohren zu, und wenn wir an anderen Sohlen vorbeikamen, wurde es jeweils kurz hell. Der Aufzug hielt bei Sohle 28. Wir gaben dem Boss-Boy unsere Karten und marschierten eine Stunde bis zum Ende des Schachts. Im Schacht war es sehr heiß. Der Schweiß rann wie Wasser an mir herunter. Es gab drei Stollen. Die kleinen Grubenbahnen hatten hinten und vorne rote Lichter, die Gefahr anzeigten. Vor einer Sprengung wurden kleine Löcher in die Wände gebohrt, und ein Mann, den sie den Chessa-Boy nannten, legte Sprengstoff hinein. Nach der Explosion fanden wir kaputte Rohrleitungen, verbogene Schienen, eine rissig gewordene Wand und andere Schäden vor. Dann hatten wir schwere Arbeit. Alle Steine mußten auf die Loren der Grubenbahn geladen werden. Noch in einiger Entfernung vom Ort der Sprengung kann man Steine finden, die über zweihundert Kilo schwer sind. Wasser tropfte von den Wänden. Manchmal fielen kleine Steine auf uns herunter. Meine Stiefel waren voller Wasser. Ein Zulu aus King William's Town war gerade beim Graben, als ein Teil der Lüftungsanlage herunterfiel und sein linkes Bein unter sich begrub. Der Boss rief uns zusammen, und wir hoben den Ventilator an, um den Mann darunter hervorzuziehen. Das Bein war gebrochen und blutete ...“ Und so weiter. Was für eine Mine zutrifft, muß nicht unbedingt auch für eine andere zutreffen. Die Goldmine, in der Themba arbeitete, war kühler und sicherer als die meisten, zumindest sagten mir das die weißen Angestellten dort. Die Mine hieß Randfontein Estates. Sie lag vierzig Kilometer südwestlich von Johannesburg über dem westlichen Arm der Goldader, die das weiße Südafrika reich machte. Es war ein weitläufiger Komplex mit einem Umfang von wenigstens fünfzehn Kilometern. Nach den Fördergerüsten zu urteilen, die aus dem Busch aufragten, gab es mindestens drei Schächte, außerdem wahrscheinlich vier getrennte Wohnblocks für die vierzehntausend schwarzen Arbeiter. Die Sicherheitsvorkehrungen waren sehr streng. Man konnte die Mine nicht einfach betreten und durfte sicher auch nicht einfahren, es sei denn, man war dazu eingeladen. Ich war nicht eingeladen.

Ich trieb mich vor dem Eingang der Mine herum und fing einen Weißen mit einem Schutzhelm ab. Ich sagte, diese Mine sei kühler und sicherer als die meisten anderen Minen. Er schien ein wenig überrascht. „Ich weiß nur, daß es da unten verdammt heiß ist“, meinte er. Randfontein Estates sei so tief, daß man eine halbe Stunde brauche, um zu den tieferen Sohlen zu gelangen, und eine weiter halbe Stunde bis zum jeweiligen Streb. Drunten gehe es zu wie in einer Stadt oder einer riesigen unterirdischen Fabrik, es sei so laut, daß einem fast der Kopf platze. Grubenbahnen donnerten über die Schienen, Maschinen rasselten, Bohrer dröhnten, und die Druckwellen dumpfer Explosionen drängen aus den Tiefen finsterer Stollen, in denen man Platzangst bekomme. Es sei ein furchterregender Arbeitsplatz. Ein Kilometer Gestein trenne einen von der Sonne, und Einsturzgefahr bestehe immer. Darüber hinaus konnte der Mann sich jedoch nicht beklagen. Er war weiß, und weiße Bergleute verdienten recht gut. Für Themba und andere Schwarze, die in Südafrikas Minen arbeiteten und Gold, Diamanten, Kohle und Platin ans Tageslicht beförderten – jene Schätze, die das weiße Südafrika reich machten –, traf das allerdings nicht zu. Ich fragte einmal einen Gewerkschaftsfunktionär, wie er das politische Bewußtsein der Minenarbeiter wecke, und er sagte: „Ich beginne am Anfang. Ich sage: Die Weißen sind 1652 hergekommen, und seither geht es uns schlecht. Sie haben das Vieh und das Land unserer Väter gestohlen. Dann haben sie Gold gefunden, und jetzt stehlen sie unseren Vätern auch noch die Arbeitskraft.“ Er sprach weiter über die Hütten-Steuer und die Vieh- Steuer, die den Afrikanern auf dem Land um die Jahrhundertwende auf Anordnung der Bergbau-Kapitalisten in Johannesburg auferlegt wurde. Dadurch sollten die schwarzen Stammesangehörigen von ihrem Land in die Lager der Minen getrieben werden, wo dringend billige Arbeitsplätze gebraucht wurden.

Die Minen Südafrikas waren die tiefsten der Welt – in einigen Fällen über drei Kilometer tief und der Hölle so nah, daß die Wänden und Decken der Schächte manchmal zu heiß waren, um sie mit bloßen Händen zu berühren. Die Arbeitsbedingungen waren extrem schlecht, und jahrzehntelang verdienten schwarze Bergarbeiter dabei nur einen Hungerlohn; noch 1970 waren es nur 10,70 Rand im Monat. Deshalb warfen die südafrikanischen Goldminen einen so unverschämt hohen Profit ab, und deshalb zählten ihre Aktien über ein Jahrhundert lang zu den gewinnbringendsten Wertpapieren an den Börsen der Welt. Noch 1985 hörte ich, wie ein amerikanischer Kongreßabgeordneter im Kabelfernsehen mit Bezug auf die schwarzen Kumpel von „Sklavenarbeit“ sprach ... Rian Malan

Auszug aus: „Mein Verräterherz“, Rowohlt 1990/94, Übersetzung: Büro Ulrich Mehr, 457 Seiten, 16,90 DM

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