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 ■ Immer schneller von A nach B. Freiheit oder Zwang? Sind Menschen ohne Auto unfrei? Was hat das Auto mit Freiheit zu tun?Ein dinosaurieresker Unfug

betr.: „Grüne sind keine Anti-Auto-Partei mehr“, „Grünes Ja zum Auto“, taz vom 27./28. 5. 00

Ich bin über die von Herrn Urbach applaudierte Ankündigung der grünen Bundestagsfraktion, ihr Verhältnis zum Auto „zu normalisieren“, ziemlich entsetzt.

Ich stehe vor allem der Art und Weise der Benutzung des Automobils durch große Teile der Bevölkerung und der Vergöttlichung der Automobilität durch den Zeitgeist ablehnend gegenüber. Gegen das Auto als solches kann ich gar nichts haben. Dies ist nur ein technisches Instrument zum Erreichen eines oder mehrerer Ziele. Aber das verstehen Autonarren leider nicht.

[...] Ich halte aus Gründen der Nachhaltigkeit (= Zukunftsfähigkeit) Massenmobilität nur unter der Voraussetzung „Umwelt- und Energieeffizienz“ für verantwortbar. Diese Anforderungen erfüllt aber die Automobilität in den meisten Fällen nicht. Das Fahrrad, die eigenen Beine, Busse und Bahnen transportieren Menschen nun einmal deutlich energieeffizienter als das Auto. Hinzu kommt, dass ein Auto nicht sehr langlebig ist. Schienenfahrzeuge erreichen ein Alter von 20 bis 70 Jahren bei Laufleistungen von über 6 Millionen Kilometern Und: vergesst nicht die tausenden von Verkehrstoten und hunderttausenden von Schwerverletzten. Und den Lärm. Und den Flächenverbrauch ... Daraus folgt, dass der Gebrauch des Autos mit Bedacht erfolgen sollte. [...]

Unsere Mitmenschen können es sich überhaupt nicht vorstellen, dass es a) oft ohne Auto geht und dass es b) mit wesentlich weniger Mühe beziehungsweise Unannehmlichkeiten verbunden ist und oft sogar mehr Spaß macht, das Auto nicht zu benutzen.

Zum Abschluss noch einige Kommentare zu den Thesen der grünen Bundestagsfraktion: Ein Auto mit „Null-Emissionen“ kann es nicht geben. Selbst wenn man einmal unterstellt, dass der Wasserstoff aus Strom regenerativer Herkunft hergestellt wird, wird man zu einem guten Teil immer noch auf die Verbrennung von Holz etc. zurückgreifen müssen. Oder Stauseen anlegen müssen oder oder oder. Außerdem gehe ich davon aus, dass auch Wasserstoffautos Lärm verursachen werden. Also eine unsinnige Aussage. Noch größerer Unsinn ist die Annahme, dass es mittelfristig möglich sein wird, nicht nur den heutigen Stromverbrauch ausschließlich mit regenerativen Energieträgern sicherzustellen, sondern dazu noch den nicht unerheblichen Energieverbrauch des Sektors „Verkehr“ plus Umwandlungsverluste (vom Strom zum Wasserstoff). Ohne Energiesparen ist ein nennenswerter Anteil regenerativer Energieträger am Gesamtenergieverbrauch jedenfalls in den nächsten 30 Jahren nicht möglich. Aber Energiesparen hört sich ja nach „Verzicht“ an, eine Vokabel, die die neuen Grünen meiden wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen werden lieber Taschenspielertricks propagiert.

Weiter im Text. Das Auto ist „ein Mittel zur Emanzipation“. Wovon?? Und ein „Instrument der Freiheit“. Toll, Zigaretten auch. [...]

Was Herr Schlauch & Co nicht bedacht haben: Menschen, die sich für ihr Auto (Statussymbol) krumm legen müssen und sich sonst nix anderes leisten. Ist das Freiheit oder Zwang? Oder immer schneller von A nach B nach C nach D? Freiheit oder Zwang? Die Unfähigkeit, sich Wind, Wetter, Sonne etc. auszusetzen. Freiheit oder Zwang? Und was ist mit den Menschen, die sich gar kein Auto leisten können. Sind die nun deshalb unfrei???

Wenn ich mir diese ganzen Fragen anschaue, dann kann das Auto nur Emanzipation vom Denken sein. [...]

JENS NIESTROJ , Rotenburg

Was soll denn das? Das Auto, wenn auch veraltet, privat unwirtschaftlich und lebensgefährlich, so ist es doch an sich weder gut noch böse. Dumm und kriminell ist erst die Massennutzung als teures Spiel- und Spaßzeug und nicht als vernünftiges Werkzeug. Natürlich gäbe es dann nicht die alle abhängig machenden Autokonzerne, es gäbe eine paar solide Autofabriken. Das Auto würde weder Umwelt noch Leben Schaden zufügen, weil es nur sinnvoll beruflich genutzt würde.

Was Auto mit Freiheit zu tun haben soll, muss mir Rezzo Schlauch erklären. Die gleichen Argumente führen die Waffennarren in den USA. Sollten diese dummen, populistischen Argumente nicht den machtgierigen Altparteien überlassen werden?

LUDWIG BERGER , Buchen

Dass Rezzo Schlauch und andere grüne Sesselkleber jetzt ihre Liebe zum Auto entdecken und damit Eindruck beim Jungwähler schinden wollen, zeigt uns, wie sehr sie dem Fallschirmspringer hinterherhecheln. Frau Höhn wird’s danken beim Kampf gegen neue Clement-Autobahnen.

Oder ist auch der Schlauch intellektuell überfordert mit der Erkenntnis, dass das Auto aufgrund des Missverhältnisses transportierte Last/Aufwand an Energie und Rohstoffen ein dinosaurieresker Unfug ist – ständige Zunahme an Emissionen und Flächenversiegelung einmal außen vor gelassen. Wann wohl werden die Grünen ihre Friedensliebe der Kernenergie zuwenden?

AUGUST MÜLLEGGER , Kreis- und Stadtrat

(parteilos, vormals: Die Grünen), Friedberg

Die Grünen sind zu einer Partei verkommen, in denen die selbstzufriedenen Rülpser etablierter Mittelständler zum visionären Konzept erhoben werden. Rezzo Schlauch möchte Politiker durch Ingenieure ersetzen und das Parteiprogramm vom Patentamt schreiben lassen. Dazu löst er alternativ besetzte Begriffe wie „Emanzipation“ aus dem historisch-politischen Konext und wirft sie als Nebelkerzen in die Diskusson.

Demnächst fordert er wohl die Green Card für Öko-Ingenieure, was für den „grünen“ Automann an Schröders Seite nur folgerichtig wäre. Wohl bekomm’s. BERND H. SCHOEPS, Dortmund

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