Immer mehr US-Staaten verzichten jetzt auf die Todesstrafe: Der verhängnisvolle Justizirrtum
Zu einem Zeitpunkt, da Exekutionen in den USA schon Routine geworden und Hinrichtungen weder im In- noch im Ausland nachrichtenwürdig sind, zu einem Zeitpunkt also, da man sich damit abfinden musste, dass Hinrichtungen in Amerika zum Alltag gehören – da geraten deren Befürworter in die Defensive. In Illinois wurde die Vollstreckung der Todesstrafe bis auf Weiteres ausgesetzt. In fünf Bundesstaaten werden vergleichbare Moratorien erwogen, und acht Städte, darunter Philadelphia, haben das Aussetzen der Todesstrafe beantragt.
Für die Umkehrung der Dynamik in der Todesstrafendiskussion gibt es mehrere Anlässe. Einer ist das Zahlenverhältnis 12:13. Denn 12 Hinrichtungen hat es in Illinois gegeben, seit die Todesstrafe 1977 wieder eingeführt wurde. 13 Todesurteile wurden jedoch zum Teil in letzter Minute verhindert, weil neues Beweismaterial auftauchte. In drei spektakulären Fällen wurde es weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Verteidigung, sondern von engagierten Studenten zusammengetragen.
Diese spektakuläre Rettung der drei Todeskandidaten warf ein denkbar schlechtes Licht auf die Polizei und die Staatsanwaltschaft von Chicago. Sie bestärkte all jene, die in der Todesstrafe schon immer die Gefahr des irreversiblen Irrtums gesehen hatten. Diese Angst vor tödlichen Justizfehlern ist es denn auch, die die neue Welle des Widerstands gegen die Todesstrafe motiviert. Gleichzeitig werden aber auch all die alten Bedenken neu formuliert; dazu gehört vor allem, dass die Todesstrafe unverhältnismäßig häufig Arme und Schwarze trifft.
Eine effektive Verteidigung in einem Kapitalfall kostet durchschnittlich eine Viertelmillion Dollar. Pflichtverteidiger von armen oder schwarzen Angeklagten aber verdienen zum Teil nur lumpige acht Dollar pro Stunde und haben kaum Vorbereitungszeit. Mag sein, dass letztlich diese schreiende Ungerechtigkeit eine Herausforderung für den amerikanischen Sinn für Fairness darstellt.
Doch nicht nur das Gerechtigkeitsgefühl trägt zum Umdenken bei: Es ist auch die veränderte wirtschaftliche Lage. Seit den 60er- und vor allem seit Anfang der 90er-Jahre nahm das Verbrechen in den USA in allen Bereichen zu und schien besonders in den Großstädten unausrottbar. Seit Mitte der 90er-Jahre aber boomt Amerikas Wirtschaft, und die Innenstädte beginnen sich wieder zu beleben. Das Verbrechen geht zurück, damit hat auch Liberalität wieder eine Chance in den USA. Peter Tautfest
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