: Im grauen Staub des Krieges
„Erde und Asche“ von Atiq Rahimi erzählt vom zerstörten Afghanistan
In der letzten Einstellung von Akira Kurosawas „Ran“ sieht man einen blinden Mönch, der sich unsicher mit seinem Stock durch die Trümmer einer im Krieg zerstörten Festung vorantastet. Der japanische Meisterregisseur hat damit eine der eindrucksvollsten Metaphern für die Nachwehen einer Schlacht gefunden - die leere Landschaft voller Asche und Staub steht hier auch für den seelischen Zustand der traumatisierten Überlebenden.
Aus einem ganz ähnlichen Endbild besteht der gesamte Film „Erde und Asche“ von Atiq Rahimi. Durch eine menschenleere Wüstenei in Afghanistan müht sich da ein alter Mann mit seinem fünfjährigen Enkel, der unbedingt eine Kohlemine erreichen will, in der sein Sohn arbeitet. Ihr Heimatdorf wurde durch eine Bombardierung zerstört. Von der Familie sind nur noch der Greis und das Kind übrig, das zudem durch den Angriff taub wurde. Die beiden hoffen an einer halb verfallenen Brücke auf eine Mitfahrgelegenheit durch die Einöde, und aus ihrem tagelang vergeblichen Warten besteht der Großteil der (Nicht)-Handlung dieses Films. Dramaturgisch erinnert das natürlich an Beckett, aber das Absurde entsteht hier nicht aus einem existenziellen Überdruss, sondern aus den bitteren Erfahrungen eines Afghanen, der die Zerstörung seines Landes miterleben musste.
Atiq Rahimi verarbeitete 1996, also lange vor dem Angriff auf Afghanistan durch die Amerikaner und westlichen Truppen, das Grauen der Besetzung seiner Heimat durch die sowjetischen Truppen in den 80er Jahren in seinem Debütroman „Terre et cendres“. Nachdem er mehrere Dokumentationen für das französische Fernsehen gedreht hat, ist „Erde und Asche“ nun auch sein erster Spielfilm, und er beeindruckt durch die Radikalität, mit der er hier auf das Wesentliche verdichtet. Biografische Details, eine Vorgeschichte, Bilder vom noch nicht zerstörten Heimatdorf und der noch lebenden Familie - also all jenes, was ein konventioneller Autor aufbieten würde, um möglichst bewegend zu erzählen - lässt er rigoros weg. So wie der alte Mann und das Kind in der windigen, leeren Landschaft gestrandet sind, setzt Rahimi auch den Zuschauer dieser Zwischenwelt aus, die zwar einerseits realistisch als das zerstörte und gelähmte Afghanistan jener Jahre gezeichnet wird, aber oft auch wie eine surreale Alptraum-Landschaft fotografiert wurde.
Diese Bilder sind auch von einer irritierenden, grausamen Schönheit. Die trockene Kargheit, die übermächtigen Braun- und Grautöne machen die Menschen in dieser Welt klein. Und kleine Gesten sind auch alles, was ihnen angesichts der alles beherrschenden Katastrophe noch möglich ist. So wirkt die Kaltherzigkeit eines Soldaten, an dessen Schlagbaum die wenigen durchfahrenden LKWs halten müssen, und für den es so ein Leichtes wäre, dem alten Mann und seinem Enkel zu einer Mitfahrt zu verhelfen, besonders bösartig. Der alte Mann zögert auch vor der Weiterfahrt, weil er seinem Sohn die furchtbare Nachricht von der Vernichtung seiner Familie nicht bringen will. Er fürchtet, dass dieser sich rächen und dabei selber auch sterben wird. Der Enkel scheint dagegen im allgemeinen Chaos ausgeglichen vor sich hin zu plappern, dabei hat er selber noch gar nicht verstanden, dass er taub ist, und glaubt, alle anderen könnten nicht mehr sprechen. Die Freundlichkeit eines Händlers, mit dem sich die beiden im Laufe des Tages anfreunden, wirkt wie der einzige ermutigende Impuls des Films. Ansonsten besteht er nur aus Kriegsopfern, die durch Erde und Staub irren.
Wilfried Hippen