■ Im Visier unserer LeserInnen: Terror, Krieg und die Grünen (und die SPD): Glaubwürdigkeit verloren
betr.: „Einige denken an Rückzug“, taz vom 26. 11. 01
Es ist ausgesprochen bedauerlich, wie einig sich die Grünen mittlerweile sind, wenn es darum geht, Kriege zu rechtfertigen. Noch vor wenigen Tagen habe ich einen Kommentar von Frau Roth gelesen, in dem sie betonte, wie vorteilhaft es doch wäre, dass die Grünen so zerstritten seien. Ich musste ihr im Grunde genommen zustimmen. Eine Regierungspartei hat Aufgaben und Pflichten zu erfüllen. Aber darauf zu setzen, dass sie bei der nächsten Wahl über fünf Prozent kommen, weil SPD-Wähler sie wählen, um die Regierung zu stabilisieren und um die Koalition mit der FDP zu verhindern, ist undemokratisch, machthungrig und verlogen.
H. WÖHLER, Bremen
CHAMÄLEONS
Stimmenfang:Frieden schaffenohne Waffen!
Anzugwechsel
Machterhalt:Frieden schaffenmit Gewalt! INGRID RALFS, Büdelsdorf
Der Vorwurf an ehemalige Pazifisten in SPD und Grünen, diese hätten ihre früher geheiligten Grundsätze verraten, ist verharmlosend und ungerecht zugleich. Verharmlosend, weil die seinerzeitige Pazifismusdiskussion sich um die moralische Berechtigung von Verteidigungskriegen drehte. Jetzt geht es aber um Angriffskriege.
Ungerecht, weil auch die Noch-nie-Pazifisten ihre Zielsetzung diametral geändert haben: Früher plädierten sie für Nato-Nachrüstung, um das militärische Gleichgewicht zwischen Ost und West wiederherzustellen und so einen Krieg zu verhindern. Jetzt plädieren sie für mehr Rüstung, um noch mehr Kräfteungleichgewicht zwischen „Westlicher Wertegemeinschaft“ und „Schurkenstaaten“ zu schaffen und so Kriege zu ermöglichen.
Von CSU bis Grünen-Mehrheit herrscht heute Übereinstimmung: Krieg ist nur noch bedingt das, was durch Politik verhindert werden soll. Krieg ist jetzt und künftig die Fortsetzung der Globalisierungspolitik mit anderen Mitteln.
HOLGER SCHLEIP, Birkenfeld
Machtpolitik manifestiert sich auch in dem Versuch, der Sprache eine neue, einseitige Bedeutung zu geben. Es gibt weltweit viele Menschen, die nicht nur die New Yorker Anschläge für Terror halten, sondern auch den expandierenden, nur den Interessen der „zivilisierten“ Welt dienenden Welthandel, Finanzspekulationen und ökologischen und kulturellen Raubbau. Es gibt unzählige Opfer egoistischer Wirtschafts- und Machtinteressen der selbst ernannten „Antiterror-Koalition“, ihrer Konzerne, Geheimdienste und Militärs. Viele möchten gern auch diesem Terror den Kampf erklären, auch diese „verdächtigen Finanztransaktionen“ (Schily) auf die schwarze Liste setzen oder Terror-Verantwortliche von CIA, Pentagon oder einen H. Kissinger vor einen Internationalen Gerichtshof stellen, den die USA so vehement ablehnen.
Der fatale Glaube von Terroristen und Kriegsherren überall ist nach wie vor, sie könnten Terror und all das, was sie dazu erklären, durch Krieg ausrotten. Das genaue Hinschauen nimmt uns niemand ab, welchen Terror sie meinen und welche Interessen sie hinter ihren Sprachformeln verbergen. So verstanden, hat J. Fischer recht, wenn er auf dem Parteitag der Grünen sagt, dem massenmörderischen Terrorismus müsse das Handwerk gelegt werden und es müsse eine Antwort geben auf die Frage, auf welcher Seite die Bundesregierung steht.
Mit ihrer fast ohne parlamentarische Opposition durchgesetzten Kriegspolitik haben SPD und Grüne viele politisch heimatlos gemacht und eine unübersehbare Eigendynamik für diese und folgende Regierungen initiiert. Als Parteien, die programmatisch Globalisierungskritikern und KriegsgegnerInnen ein Forum bieten wollten, haben sie jede Glaubwürdigkeit verloren.
GEORG RAMMER, Karlsruhe
betr.: „Keine Vollmacht für den Krieg“ (Interview mit R. Fücks), taz vom 26. 11. 01
Eine Partei, die Kriege akzeptiert oder gar billigt, ist eine Kriegs(akzeptanz)partei. Fücks ignoriert außerdem, dass die Kriterien, unter denen militärische Interventionen als Ultima Ratio legitim sein sollen, von den Profiterwartungen der Rüstungsindustrie und deren politischer Lobby definiert werden und durch die Nato-Doktrin vom April 1999 (Washingtoner Erklärung). Danach gehören zum Friedenschaffen out of area Kriegseinsätze, welche den Wohlstand der Nato-Staaten absichern sollen durch den ungehinderten Zugang zu Resourcen (und folglich auch Märkten).
Wenn die Grünen keine Kriegspartei sein wollen, müssten sie konsequent und ausdauernd für soziale, ökologische und politische Gerechtigkeit weltweit eintreten – das heißt auch in Kriegszeiten gegen Waffenproduktion und Warlords aller Art, gegen die Fortsetzung der Uranverwertung, die eng an die Waffenproduktion gekoppelt ist. Stattdessen sprechen die Grünen vom Atomausstieg, obwohl in Gronau (NRW) unter der rot-grünen Regierung die Uran-Anreicherungsanlage auf das Dreifache ihrer Kapazität erweitert werden soll, stattdessen stellen sie sich durch ihre Kriegsakzeptanz an die Seite der Warlords in Afghanistan, während sie gleichzeitig deren Ergebnisse kritisieren: Flüchtlingsströme und geschlechtsspezifische Verfolgung. Der Beweis, dass die Grünen eine Friedenspartei sind, wurde noch nicht erbracht.
ILONA JOERDEN, Göhrde
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