: Im Übergang
Meine liebste Jahreszeit ist der Übergang. Diese flüchtigen Zwischentage, wenn der Sommer zum Herbst wird, der Winter zum Frühling und vor allem der Frühling zum Sommer. Wenn man spürt, dass sich etwas Grundlegendes verändert. Meist beginnt es schleichend, bald verdichten sich die Anzeichen: Der Himmel wechselt die Farbe, Friseursalons und Apotheken dekorieren ihre Schaufenster um, der Biomüll beginnt zu stinken, man kauft aus Ungeduld wässrige Erdbeeren. Und man hat keine Ahnung, was man eigentlich anziehen soll.
Die Vorhersagen sind wechselhaft. Heiter, stürmisch, sonnig, bedeckt, trocken, trockener, graupelig. Sonnenbrand- und Unwettergefahr bei zehn bis sechsundzwanzig Grad. Vielleicht so, vielleicht aber auch nicht. Gewissermaßen passt das zum Zustand der Welt. Was gestern noch unumstößlich schien (Fakten, Gesetze, Menschenrechte, Demokratie), wird heute im Minutentakt von faschistoiden Tyrannen und überreichen Tech-Despoten ausgehöhlt und eingedampft. Die Aussichten? Ungewiss. Wenn man sich dieser Tage überhaupt noch auf etwas verlassen kann, dann darauf, dass nichts mehr sicher ist.
Zumindest gegen die Unwägbarkeit des Wetters gibt es zum Glück ein Wundermittel. Ich gebe zu, dass das in Anbetracht der globalen Verhältnisse eine Miniaturfreude ist. Aber immerhin: Es sind gute Zeiten für Freund:innen der Übergangsjacke.
Die Übergangsjacke ist ein unterschätztes Kleidungsstück. Dabei kann sie nicht nur ein Outfit zusammenhalten, sondern manchmal auch dessen leicht fragile Trägerin, die noch nicht so genau weiß, wohin mit sich inmitten aller klimatischer Umbrüche. Es ist bekannt, dass der Mensch in Phasen der Transformation (Dentition, Pubertät, Trennungen, Perimenopause) besonders verletzlich ist. Wie gut also, im Übergangswetter etwas bei sich zu haben, das die dünne Haut ein bisschen vor der Außenwelt schützt.
Außerdem kann so eine Übergangsjacke extrem gut aussehen – vorausgesetzt, man hat seine Seele nicht an den hierzulande übermächtigen Funktionsjackenteufel verkauft. Denn anders als der Winter, in dem ich alle modischen Ambitionen unter Daunen begrabe, um als wandelnder Schlafsack durch die Gegend zu ziehen, und der Sommer, in dem ich wiederum ständig Kompromisse zwischen Luftigkeit, Nacktheit und UV-Schutz machen muss, stecken die Übergangswochen voller Möglichkeiten. Montags bin ich die mit dem Trenchcoat, der sie vor unerwarteten Böen schützt. Dienstags die mit der gesteppten Wendejacke, die notfalls leichtem Nieselregen und plötzlichem Temperatursturz trotzt. Mittwochs die in Papas alter Bomberjacke, donnerstags die im Heute-wird-geregelt-Blazer, und freitags fühle ich mich dank der knallblauen Arbeiterjacke vom Flohmarkt in der Normandie, als wäre der Atlantik ganz nah.
Wenn das Wetter alles auf einmal ist, denke ich, dann mache ich eben mit. Ich stelle mich gut gekleidet in den Wind. Besser, als zu kapitulieren vor der Wechselhaftigkeit. Vielleicht so, vielleicht aber auch nicht. Lin Hierse
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