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Archiv-Artikel

Im Reservat

Das Berliner Bode-Museum erlebt mit Holly Zausners Film-Installation „Unseen“ den ersten Auftritt der Gegenwartskunst in seinen Räumen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Gleich zu Beginn von Holly Zausners 15-minütigem Film „Unseen“ wird der Kunstraum von einer Explosion erschüttert. Mit lautem Lärm birst eine Schaufensterfront in tausend Stücke und fällt auf die Straße. Gerade noch ging eine Passantin an ihr vorbei. Merkwürdig, dass sie sich keine Sekunde lang über den Krach und Qualm in ihrem Rücken erschreckt. Dabei handelt es sich bei der Passantin doch um Holly Zausner, die Künstlerin selbst, und das Schaufenster gehört der Galerie Wohnmaschine in Berlin, die sie vertritt.

Im folgenden Bild sehen wir Holly Zausner im Flughafen Tempelhof. Sie trägt schwer an einer figürlichen Plastik aus gelbem Silikon; einem Frauenkörper mit endlos sich dehnenden Extremitäten, wie der Kameraschwenk auf Zausners Füße zeigt, neben denen die gelben Beine ihrer Skulptur auf dem Boden schleifen. Dieser Schwenk auf eilig voranschreitende Füße wiederholt sich in den Bildern der dicht bevölkerten und befahrenen Friedrichstraße. Auch auf dem Bahnhof Friedrichstraße herrscht lebhafter Verkehr – bis er nach einem harten Schnitt so ausgestorben und menschenleer daliegt wie auch der Pariser Platz und das Brandenburger Tor oder das Wohnsilo des Pallas-Palasts an der Potsdamerstraße. Selbst der Hauptbahnhof ist entvölkert, nur die gläsernen Aufzüge schweben unbeeindruckt nach oben und unten. In einem Aufzug finden wir Holly Zausner mit ihrer gelben Dame wieder. Sucht sie nach einem geeigneten Ort für ihre Plastik?

Doch wo sollte er sich finden, da ihre gelbe Dame wie deren blaues männliches Pendant in ihrer schlaffen, schlappen Form, ihrer typischen zeitgenössischen Haltlosigkeit, eine besondere Präsentation, die ihre artifizielle ästhetische Qualität betont, von vornherein auszuschließen scheinen? Immerhin, die gewaltsame Öffnung der Galerie auf die Straße machte deutlich, dass „Unseen“ die Frage nach Stellung und Bedeutung der Skulptur im öffentlichen Leben und öffentlichen Raum stellt. Gerade deshalb helfen sie uns, zu sehen, was wir nicht sehen: das Reservat. In ihm verortet Gregor Stemmrich in seinem anregenden Katalogessay den Ort der Skulptur im öffentlichen Raum. Den Begriff bringen die zwei Tiger ins Spiel, die Holly Zausner im Skulpturengarten in der Neuen Nationalgalerie herumtigern ließ. Aber auch die Alltagsplastik, die nur dem Vergnügen dient, befindet sich im Reservat. Dass der Freizeitpark in Treptow, durch den die New Yorker Künstlerin, die seit rund zehn Jahren in Berlin lebt, ihren blauen Plastikmann schleift, schon lange außer Betrieb ist und die umgestürzten Dinosaurier und verfallenen Achterbahnen eine ganz eigene, surreale skulpturale Qualität angenommen haben, verdeutlich nur den Befund.

Aber natürlich ist das Museum das bedeutendste Skulpturenreservat. Wenn Holly Zausner es schließlich mit ihrem Silikonfreund betritt, sehen wir plötzlich die Einsamkeit der figürlichen Plastiken vom frühen Mittelalter bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert vor ihrer immer gleichen weißen Wand. Flehen die christlichen Märtyrer und Heiligen mit ihrem stereotyp gen Himmel erhobenen Blick womöglich darum, gerade aus diesem musealen Jammertal erlöst zu werden? Am Ende liegt der blaue Silikonmann an prominenter Stelle hingegossen auf dem Boden. Er wirkt befremdlich und erfrischend zugleich: durchaus am richtigen Ort. Stolpert man nicht selbst über das blaue Schlangengewirr, dann unsere Wahrnehmung. Trügt unser Blick, aber schauen die Heiligen zwischendurch nicht immer mal wieder kurz zu Boden?

Bode-Museum bis 13. 5., Katalog 30 €