Schöner schaukeln : Im Park
Wenn der Plan war, die Spießerin in mir rauszukitzeln, ist der voll aufgegangen. Leider muss ich genau das tun, was die Leute auf den anderen Picknickdecken im Park auch tun: hinstarren. Es krass finden. Die abgedroschene Kombi aus Faszination und Ekel empfinden. Woanders hingucken. Doch wieder hinstarren. Ist das tätowiertes oder echtes Blut, das dem Typ über den Rücken läuft?
Echtes. Jetzt wischt seine Freundin es ihm mit Küchenrolle ab. Dann geht’s zum Seil, dessen eines Ende die Kumpels vorsorglich um den Stamm geschlungen haben. Das andere Ende baumelt vom Ast. Die beiden Hochsee-Angel-Haken, die in der Haut über den Schulterblättern stecken, werden erst mit einem kürzeren Seil verbunden. Das wird dann in der Mitte mit einem Karabinerhaken am vom Ast baumelnden Seil befestigt. Ich weiß das so genau, weil ich so genau hingesehen habe! Mir wird etwas übel. Ich versuche, ausschließlich die Augen meines eigenen Kumpels zu fixieren, und mich auf das zu konzentrieren, was er sagt, aber hinter seinem Kopf taucht abwechselnd links und rechts ein schwingender Körper auf, und dieser Körper hängt an Angelhaken, Herrgottnochmal! Wie immer, wenn ich genau jene Reaktion abliefere, die andere hervorrufen wollten, werde ich sauer. Die wollen doch, dass man sich hier nicht mehr vernünftig unterhalten kann, sondern stattdessen Freaks krass finden muss! Sonst würden die das doch nicht inmitten grillender Friedrichshainer sonntagnachmittags um fünf auf dem Forckenbeckplatz machen! Oder gibt es wirklich keine alten Fabrikhallen mehr in Berlin, in denen man sich für so was treffen kann? Meine Fresse, dann fahrt doch in den Wald! Die Spießerin in mir ist quietschfidel. Die Kumpels schubsen den hängenden Kollegen jetzt richtig an. „Was machen die?“, fragt die Tochter, noch im Windelalter. „Die schaukeln“, sagt der Vater. EVA SIMON