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■ Im Lübecker Prozeß haben sich bisher vor allem die linksradikalen Unterstützer von Safwan Eid blamiertKampf gegen das imaginäre Deutsche

Es gibt im Strafverfahren gegen Safwan Eid, der angeklagt ist, für die Brandkatastrophe im Lübecker Asylbewerberheim verantwortlich zu sein, bislang nichts, worauf sich ein Schuldspruch gründen könnte. Der 20- oder 21jährige Libanese kann sich darauf einstellen, spätestens im kommenden Jahr freigesprochen zu werden.

Die Anhaltspunkte, die die Lübecker Staatsanwalt für ihre Anklage nutzte, reichen vermutlich nicht, um Safwan Eid zu verurteilen. Der Hauptbelastungszeuge, der Rettungssanitäter Jens L., der Eid im Rettungsomnibus auf dem Wege ins Krankenhaus mit den Worten „Wir war'n's“ vernommen haben will, machte einen glaubwürdigen Eindruck, doch nur er allein hat diesen Satz gehört – anderen Zeugen ist das Gegenteil zu Ohren gekommen: „Die war'n's.“

Auch andere Umstände, die einen Schuldspruch begründen müßten, sprechen für den Angeklagten: Die Staatsanwaltschaft kann kein plausibles Motiv angeben, das Eid veranlaßt haben könnte, das Feuer zu legen. Der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken wußte genau, was er sagte, als er vor zwei Wochen kundgab: „Wir sind nach den bisherigen Zeugenaussagen nicht viel weitergekommen.“

In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten: So würde sich der Verlauf eines normalen rechtsstaatlichen Verfahrens um eine Tragödie zusammenfassen lassen können. Aber was heißt normal? Es gibt etliche Besonderheiten an diesem Verfahren, die es wert sind, notiert zu werden. Erstens war das Richterkollegium vom ersten Prozeßtag an bemüht, alles zu vermeiden, was die Unterstützerszene um Safwan Eid (Verteidigung, Lübecker Bündnis gegen Rassismus, die Internationale Untersuchungskommission) so strikt behauptet: daß es sich um ein rassistisches Verfahren handelt, bei dem „Die Deutschen versuchen, sich ein reines Gewissen zu verschaffen“ (Aufschrift eines Transparents in einem Hamburger Szenestadtteil).

Auch Staatsanwalt Michael Böckenhauer gibt nicht gerade das Bild eines furchtbaren Juristen ab. Er fragt wie ein Softie – und selbst seine Interventionen gegen die gelegentlich harsche, fast inquisitorische Frageweise von Safwan Eids Anwältinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter wirken moderat.

Kurzum: Lübeck und seine tonangebende sozialdemokratische Elite will auch im Gerichtssaal alles vermeiden, was auf die Stadt rufschädigend wirken könnte. Böckenhauer hat vorsorglich schon unmittelbar nach Prozeßbeginn angekündigt, auf Freispruch zu plädieren, sofern sich seine Anklage nicht mehr tragen ließe. Daß diese Haltung das Wohlwollen von zwei anderen Prominenten der Hansestadt – Landgerichtssprecher Wolfgang Neskovics und Bürgermeister Michael Bouteiller – findet, ist verbürgt.

Gut drei Monate dauert der Prozeß bereits. Was vorläufig resümiert werden kann, ist: Es gibt mehr Fragen als Antworten auf das, was in der Nacht zum 18. Januar im und um das Flüchtlingsheim in der Hafenstraße 52 passiert sein könnte. Wie, beispielsweise, ist Sylvio Amoussou umgekommen? Seine Leiche wies keine Rauchspuren in der Lunge auf – also ist er nicht durch das Feuer gestorben. Er könnte durch einen Einbrecher ermordet worden sein – aus Gründen, die bislang nicht ermittelt werden konnten. Allerdings fand man seinen Leichnam keineswegs mit verbrannten Elektroschnüren umwickelt – wie eine publizistische Mär aus dem Unterstützerkreis behauptet.

Auch andere Ungereimtheiten ließen sich nennen: Wer hat unter dem Fenster der Familie El-Omari kurz vor dem Brandausbruch in einer afrikanischen Sprache gestritten? Weshalb versuchte sein Vater Marwan Eid, andere Hausbewohner darauf einzuschwören, daß das Feuer durch eine Bombe schon um 2.30 Uhr ausbrach – und nicht, wie das Gros der Zeugen meinte, gegen 3.30 Uhr? Um seinen Sohn zu entlasten? Auch die Seltsamkeit, daß ein Fenster im Erdgeschoß des Hauses vielleicht schon vor dem Brand ausgehebelt wurde, harrt der Klärung. Zudem: Wenn Safwan Eid tatsächlich „Wir war'n's“ gesagt hat, muß gefragt werden: Wer ist „wir“?

Offen ist auch, wo der Brand ausgebrochen ist. Im Vorbau, wie die Verteidigung behauptet, also durch Mit- oder Einwirkung von außen? Oder im ersten Stock, wie die Staatsanwaltschaft annimmt, somit durch einen Täter aus dem Haus verursacht?

Die Gemengelage könnte so gebündelt werden: Harte Beweise für die These der Staatsanwaltschaft existieren nicht. Die Verteidigung hingegen brauchte ihre Finger nur auf die Schwachstellen des Verfahrens zu legen. Die durchaus fragmentarischen Ermittlungen der Polizei nach dem Drama; die Vernehmungen der Befragungen ohne qualifizierte Dolmetscher: Safwan Eid darf nach dieser Lage nicht verurteilt werden.

Womit nicht gesagt ist, daß er nicht dennoch für den Brand verantwortlich sein könnte. Das Verfahren dauert an, weitere Zeugen wollen gehört werden, die Gutachter haben noch längst nicht angefangen, ihre Expertisen vorzutragen. Wahrscheinlich ist dies nicht. Allein, so gelassen – wie eigentlich geboten – gehen die Verteidigung und ihre Unterstützer nicht mit dem Verfahren um.

Doch wer schon die Möglichkeit gelten läßt, daß Safwan Eid der Täter war, wird als völkisch, mindestens, denunziert. Wer in Erwägung zieht, daß die Ermittler nicht anders konnten, als sich auf den nunmehr Angeklagten zu konzentrieren, wird als „Ratte“ (O-Ton einer jungen Zuhörerin im Lübecker Gerichtssaal) geziehen.

In der elaborierten Form klingt das aus dem Munde der Anwältin Gabriele Heineckes so: Wer nicht mit ihrem Mandanten ist, wird dem „nationalen Konsens“ zugeschlagen. Heinecke auf einer Eid-Soliveranstaltung in Hamburg: „Die Deutschen haben in ihrer Geschichte andere verbrannt.“ Da jubelt das linksradikale Gemüt, es liebt die Idee, sich gegen Komplotte wehren zu müssen.

Es kann offenbar nicht sein, was nicht sein darf: Ausländer sind in Deutschland stets die Verfolgten und genießen deshalb Gesinnungsschutz durch ihre linksradikalen Unterstützer. Tatsächlich spiegelt sich in solchen Äußerungen ein Rassismus gegen das imaginär Deutsche, wie er blütenrein momentan gerade in politisch völlig marginalisierten Szenen gedeiht.

Diesen als wahnhaft zu bezeichnen, wäre zu gering. Eine solche Wahrnehmung trägt dazu bei, nicht mehr für glaubwürdig gehalten zu werden, wenn wirklich rassistische Motive bei Ermittlungen und Strafverfahren gewinnen könnten. Jan Feddersen

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