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Archiv-Artikel

Im Kongo will jeder der Chef sein

Ungeachtet des Friedensabkommens wird im Osten des Landes weitergekämpft. Manche träumen von der Sezession

GOMA taz ■ In einer Sache sind sich in Goma die meisten Leute einig. Wenn man in der ostkongolesischenRebellenhauptstadt nach dem Kongo-Friedensabkommen fragt, das die Kriegsparteien des Landes am 17. 12. 2002 in Südafrika schlossen und das den Krieg theoretisch beendet hat, gucken alle ganz ernst, überlegen lange und suchen dann nach einer nicht allzu düsteren Variante der Meinung, dass daraus wohl nichts wird.

„Jeder will Chef sein“, sagt zum Beispiel Mauka Mathe Bulalo, Leiter der Baptistenkirche in Goma, der nach den Katholiken größten Kirche der Region und im Kriegsgebiet im Bildungs- und Gesundheitsbereich aktiv. „Man weiß nicht, wer die Situation kontrolliert. Es gibt so viele Waffen.“ Und dann führt er den Besucher zum grünen Lastwagen seiner Kirche und zeigt die neusten Einschusslöcher von der letzten Überlandtour.

Goma ist die Hauptstadt der größten Rebellenbewegung des Kongo, der Kongolesischen Sammlung für Demokratie (RCD), die das östliche Drittel des Landes kontrolliert und darin bis Herbst 2002 von Ruandas Armee unterstützt wurde. Offiziell ist die RCD für das Friedensabkommen, das ihr den Einzug in eine Allparteienregierung in Kinshasa bescheren soll. Aber genau wie alle anderen Kriegsparteien des Landes hat sie es mit der Umsetzung nicht eilig. Die RCD hat einen Zeitplan vorgelegt, der die feierliche Amtseinführung einer neuen Regierung eines geeinten Kongo unter Beteiligung aller Gruppen für den 20. März vorsieht. Doch die erste Etappe des Plans – ein Treffen der Generalstäbe aller kämpfenden Truppen, um über die Bildung einer gemeinsamen kongolesischen Armee zu reden – ist schon über drei Wochen im Verzug.

„Die Leute, die uns regieren, wollen die Wiedervereinigung nicht“, sagt Kirchenführer Mauka und meint damit die RCD. Deren Chefs können sich nicht einig werden, wer von ihnen welchen Posten in der geplanten Allparteienregierung bekommt.

Die RCD weist die Vorwürfe zurück: „Die anderen blockieren den Friedensprozess“, sagt RCD-Außenminister Joseph Mudumbi. „Wir haben den Eindruck, dass Kabila das Abkommen nicht will. Vor den Verhandlungen hatte er eine Regierung mit 26 Ministern; in der geplanten Regierung bleiben ihm sieben. So gibt es in Kinshasa viele Leute, die dieses Abkommen nicht wollen.“

Nach Ansicht der RCD schürt die Regierung von Präsident Joseph Kabila den andauernden Krieg im Ostkongo. Sie rüste lokale Milizen und Gruppen auf, die gegen die RCD kämpfen. „Kabila sollte die Waffenlieferungen beenden und den Milizen öffentlich sagen, dass der Krieg vorbei ist“, fordert Mudumbi.

Ruandische Hutu-Milizen kontrollieren nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen die Stadt Walikale 150 Kilometer westlich von Goma, ein Zentrum des Coltanhandels, und führen über den dortigen Flughafen Waffen ein. In der Region zwischen Goma und Walikale wird heftig gekämpft – genau wie früher, als Ruandas Armee noch dort stationiert war. Die UNO berichtet von zehntausenden neuen Flüchtlingen in dieser verwüsteten Region. Überhaupt scheint der Abzug der über 20.000 ruandischen Soldaten aus Ostkongo im vergangenen Herbst wenig Unterschied zu machen. Die RCD hat im Gegenzug ihre Armee auf 40.000 verdoppelt und zahlreiche „Selbstverteidigungseinheiten“ aufgestellt, zumeist kongolesische Hutu.

Andere in Goma berichten, dass durchaus noch Soldaten der ruandischen Armee in der Region präsent seien – nur eben nicht als Soldaten der ruandischen Armee. Sie ließen sich nach der Demobilisierung erneut im Kongo als Söldner anheuern, heißt es – und einige ruandischen Soldaten sind sowieso Kongolesen und bleiben jetzt in ihrer Heimat als RCD-Soldaten. Sie waren 1994–96 bei den ethnischen Vertreibungen der ruandischstämmigen Minderheit in Ostkongo nach Ruanda geflohen.

So sieht sich die RCD durchaus weiterhin zum Krieg fähig. „Wenn Kabila sich für das Abkommen einsetzt, wird es funktionieren“, meint RCD-Außenminister Mudumbi. „Wenn nicht, werden wir ihn mit Gewalt verjagen. Es gibt drei Möglichkeiten: Das Abkommen wird umgesetzt; Kabila wird verjagt; oder das Land wird geteilt. Wenn Kabila von der internationalen Gemeinschaft darin unterstützt wird, weiter ohne Machtteilung zu regieren, werden wir ihm seinen Teil des Landes lassen und unseren selbst beherrschen.“ Und der gebürtige Ostkongolese macht keinen Hehl daraus, dass diese Option – die faktische Sezession – für ihn die verlockendste ist.

DOMINIC JOHNSON