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Archiv-Artikel

Im Jobcenter bekommt der Kunde weder Stuhl noch Nummer Stehend warten auf die Ausfälle der Leidensgenossen

Die Freundlichkeit eines Unternehmens erkennt man am Umgang mit schwierigen Kunden. Wenn etwa BVG-Kontrolleure Gelegenheitsschwarzfahrer rüde attackieren, verschrecken sie auch zahlungswillige Kundschaft. Dafür zeigt mancher Gast einer Kneipe Verständnis, wenn pöbelnde Personen vor die Tür gesetzt werden. Allerdings ist die Form entscheidend, ob man gern wiederkommt oder nicht.

Ein Ort, an den man nicht gern wiederkommt, ist das Job-Center an der Lindenstraße in Kreuzberg. Dass am Eingang der alte Begriff „Arbeitsamt“ steht, stört da noch am wenigsten. Menschen, die das Arbeitslosengeld II – die rotgrünschwarzgelbe Sozialhilfe für alle – beantragen, erwarten sich von ihrem offiziellen Status als Kunden der Arbeitsagentur ohnehin nicht viel. Aber sie wollen wenn schon nicht kundenfreundlich, so doch menschenfreundlich behandelt werden. Zwar ist das Bemühen darum im zweiten Stock des Gebäudes, der für das Job-Center angemietet wurde, durchaus zu erkennen. Wer aus dem überfüllten Fahrstuhl tritt, wendet sich zunächst an einen provisorischen Tresen, an dem zwei freundliche Mitarbeiter versuchen, den Gästen den richtigen Weg im Irrgarten der Flure zu weisen. Aber dann – Dickicht.

Darin hat sich an diesem Wintermorgen ein arbeitsloser Bauarbeiter offenbar verirrt. Lautstark liefert er sich ein Wortgefecht mit einem Sachbearbeiter. Satzfetzen wie „Jetzt gib mir doch mal einen Job“ fallen in die eine Richtung; in die andere geht es: „Von Ihnen lass ich mich nicht beleidigen.“ Beide versuchen aufeinander loszugehen. Zu einer Schlägerei kommt es nicht, weil eine Teamleiterin den Arbeitslosen sanft in ihr Zimmer zieht und sich ein Besucher in den Weg des Amtsmannes stellt, bevor der Wachschutzmann heraneilt, der demonstrativ im Foyer des Stockwerkes aufgestellt ist.

Den Vorfall nehmen die anderen Besucher des Job-Centers nur achselzuckend zur Kenntnis. Sie sind solche zwischenmenschlichen Begegnungen auf dem Amt gewohnt, oder sie haben andere Sorgen. Da wären: Wie halte ich es aus, in einem engen Flur ohne Sitzgelegenheit so lange zu warten, bis mich endlich eine Behördenmitarbeiterin aus der Traube der Umstehenden erlöst? Warum könnte nicht wenigstens das alte amtschimmelige Wartenummernsystem eingeführt werden, um den Kunden und Kundinnen – manche gebrechlich oder schwanger – das Verweilen zu erleichtern? RICHARD ROTHER