: Im Gewirr der Bandwurmsätze
■ Heute in Bremen: Barbara Nüsse liest „Die lange Nacht“ von Johanna Moosdorf
Manche Bücher liest man am besten laut. Dann bekommt das Ebenmaß der gedruckten Buchstaben eine neue Dimension, und wenn man die eigene Stimme hört, fühlt man sich sicherer im Gewirr der Bandwurmsätze. Die lange Nacht von Johanna Moosdorf ist so ein Buch. Zwar nicht grundsätzlich verwirrend – jedenfalls nicht verwirrender als was Menschen so denken – aber weil bei Johanna Moosdorf gleich viele Personen mehr übereinander denken, als sie miteinander sprechen, muß man dem Erzählgeschehen erst auf die Schliche kommen. Das kann anstrengend werden.
Doch die Anstrengung lohnt sich: Es erschließt sich die Geschichte von Rudolf, dem Kriegsblinden, der sich seiner ersten Liebe aus Friedenszeiten erinnert, und Johanna hat sie gut erzählt. Das schreibt die Achilles-Presse selbst, eine Neugründung in der Bremer Verlagswelt, über die Neuauflage des kleinen Büchleins. Und sie hat recht damit. Rudolfs Perspektive auf das Leben ist lesenswert. Vor allem: hörenswert. Wohl deshalb wird die erste Erscheinung von Achilles-Press auch gleich als Lesung inszeniert. Barbara Nüsse wird dem kriegsblinden Rudolf ihre Stimme leihen und das Bremer Publikum durch die Widersprüche seines Lebens führen. Und auch durch das, was Herr und Frau Dobermann denken und Herr Kühn und Elsa.
Ja, die Namen klingen etwas angestaubt, vielleicht weil Johanna Moosdorf schon 1911 geboren wurde. Ihre Erzählung ist es aber nicht. Sie handelt im Nachkriegsdeutschland, die Distanz der Autorin zu Nazideutschland wird darin deutlich, deren jüdischer Ehemann in Auschwitz umgebracht wurde. Sie selbst überlebte auf der Flucht. Aber was Beziehungen ausmacht – das schweigende Verstricktsein und das viele Denken, das ist aktuell. ede
Lesung heute abend um 20 Uhr in der Buchhandlung Geist, Am Wall 161
Johanna Moosdorfs Buch „Die lange Nacht“, 142 S., illustriert, ist für 29,80 Mark im Buchhandel erhältlich
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