■ Illustre Illustrierte (9): Uns geht ein Blaulicht auf
Als wir noch Hausbesetzer waren, konnten wir zwar die Telefonnummer des Ermittlungsausschusses auswendig herunterbeten, beim Wählen von „110“ rechneten wir jedoch mit der Zeitansage – lang ist's her. Mittlerweile macht das Verbrechen ja nicht einmal vor Autoradios in verrotteten VW-Bussen und buntbemalten WG-Türen halt, und so hat sich natürlich auch unser Verhältnis zum Polizeiruf gewandelt. Geben wir's endlich zu: Längst haben wir die „110“ als Kurzwahlnummer im Telefon programmiert und die gleichnamige Illustrierte mindestens einmal, wenn auch heimlich, am Kiosk gekauft. Bereits seit fünf Jahren kämpft das Polizeimagazin dafür, daß dem Bürger ein Blaulicht aufgeht. 110 hat die gefährliche Sicherheitslücke zwischen „Aktenzeichen XY“ (ZDF), „Notruf“ (RTL) und „Täter, Opfer, Polizei“ (ORB) gestopft. Die Themen sind freilich immer dieselben: Die Kriminalität steigt unaufhörlich an, die Regierenden sind machtlos und die Bürger nicht mehr sicher, Urlaub (auch in der Toscana) wird zum russischen Roulette, und selbst beim Gang zum Zeitungskiosk lauern Nepper, Schlepper, Hütchenspieler, von den Handtaschenräubern ganz zu schweigen. Gott sei Dank gibt's 110 im Abonnement – wenn sich der Räuber nur nicht als Briefträger verkleidet!
Die papiergewordene Sicherheitspartnerschaft lesen nicht nur GSG-9-Rambos. Auch die grüne Lehrerin findet im Heft der grünen Uniformen die Sicherheit, die sie sucht. Natürlich stellt 110 einerseits den wackeren Polizeihauptmeister Jeppsson vor, der Abenteuerreisen organisiert, und selbstverständlich darf Neu-Rep Rudi Krause erklären, warum sich das Volk bewaffnen muß. Andererseits kommt auch einer der drei vernünftigen deutschen Ordnungshüter zu Wort: Bonns Polizeirat Udo Lasslop verdammt im 110-Interview die Bannmeile um den Bundestag. Aber wahrscheinlich will der nur in den Vorruhestand.
Im Urlaub kennen wir sowieso keine politischen Präferenzen mehr, sondern nur noch von Verbrechern bedrohte Deutsche. Gott sei Dank gibt 110 deeskalierende wie kommunikative Verhaltenstips für die Ferien: „Mißtrauen ist angebracht, wenn Sie von Einheimischen nach dem richtigen Weg gefragt werden“, heißt es etwa. Und wer mit dem Auto durch Miami kurvt, sollte seinen Wagen niemals verlassen: „Selbst wenn Sie in einen Auffahrunfall verstrickt werden – weiterfahren und in einer sicheren Gegend die Polizei alarmieren.“ Fahrerflucht – das beruhigt.
Ein derart subversives Polizeimagazin 110 darf natürlich in keinem Haushalt fehlen, die Abo- Bedingungen sind bei jedem KOB oder der nächsten Notrufsäule zu erfragen. Und falls es immer noch unbelehrbare Hausbesetzer gibt, die anderer Meinung sind – selbst schuld! Doch um ihrer eigenen Sicherheit willen sollten sie es wenigstens mit 112, dem Feuerwehrmagazin, versuchen. Von wegen Spekulanten, heißer Abriß und so. Micha Schulze
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