■ Illustre Illustrierte (4): Ommmm!
Seit die Aromatherapie in immer mehr Wohngemeinschaften ihre Duftnoten hinterläßt, weigere ich mich hartnäckig, selbst gute Freunde zu besuchen. Lieber einen Schnupfen als Sandelholzdüfte für die Seele, Blauer Lotus gegen HIV und Ginsteröl als Beziehungskitt! Der ätherische Ölwechsel bewirkt bei mir nämlich nur eins: Kopfschmerzen.
Als potentieller esotera- Abonnent bin ich dennoch nicht abgeschrieben. Die jüngste Ausgabe der „Zeitschrift für neues Denken und Handeln“ weist nach, daß Duftöl und Migräne mindestens so ganzheitlich zusammengehören wie lila Wallawallakleider und handgemalte Tarotkarten. Denn vom Kopfschmerz schließt sich der Kreis zur Kunsttherapie: Spirituelles Tanzen und Malen lindert alle Wehwehchen. Leider läßt das Heft offen, ob eher Pogo oder Tango als Aspirin- Ersatz nützt. Da muß man wohl seiner inneren Stimme vertrauen.
Zeit zum Meditieren bleibt bei der esotera-Lektüre indes kaum. Das Jenseits-Magazin aus dem sehr diesseits orientierten Hermann-Bauer-Verlag pumpt alle positiven Energien direkt in die Lachmuskeln. Da erfahren wir von Schloßgeistern und den Wundertaten des Sathya Sai Baba, der aus dem Nichts goldene Armbänder zaubert.
Da lesen wir von Edmund Kösels „Visionen einer kosmischen Lernkultur“, einer spirituellen Pädagogik, die vermutlich auf dem überhöhten Spiritusgenuß des Professors gründet, angeblich aber auf den Bauernhof-Erfahrungen seiner Kindheit: „Ich habe mit den Kühen gesprochen. Ich war ganz und gar mit der Natur verbunden“. Ko(s)mische Satire, die von innen kommt. Nur Titanic ist besser!
Während die esotera-Redaktion die gepriesene Individualität auf den knapp 100 Seiten leider nicht durchhält, unterstützen zumindest die Werbeanzeigen die Erfahrung des wahren Seins. Da wird etwa ein „Handbuch für geistigen Schutz“ angepriesen, das erklären will, wie Eier die Loslösung von alten Beziehungen fördern. Und auf einer anderen Seite findet man das mutige Versprechen „Schlank durch Selbsthypnose“.
Doch Wunder sind bekanntlich die beste Therapie: Trotz des esotera-Karmas „Schön ist, was du siehst – schöner ist, was du träumst“ gibt es tatsächlich Leser, die neben Duftöl, Astropendel und Selbsterfahrung auch von den ganz realen Gespenstern etwas mitbekommen. „Wenn wir den Rechtsradikalen Liebe schenken, dann kann sich ihre Aggression in Toleranz umwandeln“, schreibt Grischa Eichfuß aus Heidelberg im „Leserforum“. Küßchen auf den Baseballschläger – da hilft nur noch ein tiefes Ommmm! Micha Schulze
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