■ Illustre Illustrierte (2): Eintagsblättchen
Darf der Blumenschmuck für die standesamtliche Trauung eigentlich wesentlich kleiner sein als für die kirchliche Hochzeit? Hand aufs Herz, auch Sie hätten Angelika H. aus Rheinhausen nicht weiterhelfen können. Drei Tage und Nächte habe ich im taz-Archiv nach der Antwort gesucht – ohne Erfolg. Dabei hätte ich, wie ich jetzt weiß, nur Susan Lippe schreiben müssen. Was nämlich Doktor Sommer für die Bravo, ist Ehegattin Lippe für das vierteljährlich erscheinende Heiratsmagazin Braut & Bräutigam.
Neulich am Kiosk traute ich mich eigentlich nur deshalb die Trauungs-Zeitschrift zu kaufen, weil ich sie für ein Homo-Magazin gehalten habe: Auf dem Cover der Sommer-Ausgabe posieren zwei herausgeputzte Bräute, und in einem kleinen Kasten umarmen sich zwei schnieke Bräutigame. Woher hätte ich ahnen können, daß es bloß um eine Zwillingshochzeit geht? Aber immerhin, mit dem Heft lernte ich endlich jene andere Welt kennen, für die der Schwulenverband in Deutschland so vehement kämpft.
Und ich geriet ins Staunen: Das „schönste Erlebnis beim Heiraten“ ist nicht etwa die Hochzeitsnacht, sondern das gemeinsame Anschneiden der Hochzeitstorte. So steht es zumindest im ausführlichen Vorbereitungskalender „Schritt für Schritt in die Ehe“, der auch Auskunft über die verborgenen Botschaften im Brautstrauß und Ideen für die Flitterwochen gibt. Chefredakteur Hotty A. Nijdam muß als Junggeselle mal Didaktiker gewesen: Ob die Leser alles richtig machen, prüft er in einem Wettbewerb der schönsten Hochzeitsfotos nach. Und selbst mit einer „Reportage“ kann Braut & Bräutigam aufwarten – wie Marianne und Hermann aus Bayern einmal Linda de Mol bei der „Traumhocheit“ besuchen durften.
Doch wer, außer Heiratsschwindlern, kauft sich bloß dieses Heft? Sind's Großmütter schwuler Enkelsöhne mit Hang zum Masochismus? Oder doch eher vergreiste Eheleute, die sich vom Meister-Proper- und Autostaubsauger-Alltag einmal ablenken wollen? Eine spannende Frage, zumal die Marketingabteilung unbedingt entlassen gehört. Nur kitschige Brautmoden-Werbung findet man im Heft, keine Partnertausch-Annoncen, und nicht mal ein Scheidungsanwalt hat inseriert.
Daß es dennoch für einen einzigen Trauertag im Leben eine eigene Zeitschrift gibt, kann die vielgerühmte deutsche Pressefreiheit wohl nicht besser unterstreichen. Micha Schulze
P.S.: Liebe Angelika H. aus Rheinhausen, der Strauß für die kirchliche Hochzeit sollte selbstverständlich üppiger sein!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen